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Empfehlungen für den Unterricht

Lehr- und Lernmaterial zum Nahostkonflikt und Antisemitismus

Viele Lehr- und Lernmaterialien zur Thematisierung des Nahostkonflikts sind nicht frei von problematischen Bildern und fördern zum Teil sogar antisemitische Ressentiments. Insbesondere Lehrkräfte müssen sich mit Kriterien für „gutes Lehrmaterial“ in diesem Kontext beschäftigen. VON ROSA FAVA

Unterricht über den Nahostkonflikt soll nach allgemeiner Einschätzung eine Grundlage dafür bilden, Antisemitismus bzw. israelbezogenen Antisemitismus abzubauen. Häufig wird aber der Schulunterricht über den Nahostkonflikt oder Israel in Fächern wie Politik oder Erdkunde selbst zum Anlass, um feindliche Haltungen gegen Israel und Ressentiments gegen Juden/Jüdinnen zu artikulieren. Allzu oft setzen Lehrkräfte dem nicht nur nichts entgegen, sondern sind selbst Träger/innen antisemitischer Emotionen und Einstellungen. Damit spiegeln sie die so genannten Mitte der Gesellschaft: Gegen Israel gerichtete Ressentiments, die sich mit antisemitischen Reflexen vermengen, sind weit verbreitet.1

Diese Realität widerspricht dem deutschen Selbstverständnis und gerade auch dem Selbstbild in gesellschaftskritischen Milieus, in denen die Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Verbrechen und die vielbeschworene Lehre daraus, das heißt die Orientierung an Demokratie und Menschenrechten, eine große Rolle spielen. Menschenrechtsverletzungen sehen viele jedoch vor allem in Israel und äußern dagegen, wie es oft heißt, „berechtigte Kritik an der Regierung Israels“.

Geeignetes Unterrichtsmaterial ist schwer zu finden

Gerade weil es sich bei der Feindlichkeit gegen Israel um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handelt, können Lehrer/innen nicht einfach zum Schulbuch greifen, um den Schülern/innen neutrale Materialien zu präsentieren, oder ohne Bedenken Medienbeiträge für den Unterricht zusammenstellen – seien es Fernseh-, Presse- oder beispielsweise Blogbeiträge von Menschenrechtsorganisationen. Denn viele Schulbücher zeigen selbst ein negativ verzerrtes Bild von Israel und dem Nahostkonflikt2, genauso wie es in vielen Medien ein antiisraelisches Bias gibt3. Lehrkräfte, die für das Problem sensibilisiert sind, sind auf sich gestellt und haben oft keine Kriterien, um Lernmittel und mediale Beiträge zu beurteilen.

Hier kann es hilfreich sein, einen Blick auf Materialien, Herangehensweisen und Fortbildungen aus der außerschulischen Bildungsarbeit zur Prävention von Antisemitismus zu werfen, die Hilfestellungen für den Unterricht geben wollen.4 Verschiedene in diesem Feld tätige Projekte, Initiativen, Vereine und andere Akteure/innen haben früh schon Unterrichtsmodule zum Nahostkonflikt und vor allem zum israelbezogenen Antisemitismus entwickelt und bieten begleitend dazu Fortbildungen an.

Sensibilisierung für israelbezogenen Antisemitismus

Die nichtschulischen Bildungsträger nehmen oft das oben skizzierte Phänomen zum Ausgangspunkt, dass jenseits des offiziellen Bekenntnisses zur Sicherheit, zum Selbstverteidigungs- und zum Existenzrechts Israels eine mindestens reservierte Haltung dem Land gegenüber stark verbreitet ist. Daher haben die meisten Fortbildungen mit Titeln wie „Nahostkonflikt und Antisemitismus“ gar nicht direkt oder primär den Nahostkonflikt zum Thema, sondern den israelbezogenen Antisemitismus. Ziel ist eine Sensibilisierung von Lehrkräften und anderen Multiplikatoren/innen dafür, dass die Wahrnehmung Israels und seiner Konflikte und Kriege mit Nachbarstaaten und anderen Gegnern stark von Ressentiments geprägt ist.

Diese Ressentiments speisen sich – verbunden mit Unwissen und medial verzerrten Bildern – aus direktem und sekundärem Antisemitismus. Es reicht daher nicht, um ein Beispiel anzuführen, dass Schüler/innen oder Lehrkräfte „Israelis“ statt „Juden“ sagen, wenn es etwa heißt, die Israelis und nicht die Juden hätten ‚den Palästinensern das Land weggenommen‘. Vielleicht ist in einigen Fällen schon viel gewonnen, wenn Jugendliche oder Lehrkräfte nicht die jüdische Mitschülerin oder den jüdischen Kollegen beispielsweise für ‚den Landraub‘ verantwortlich machen, der Sache gerecht wird dies jedoch nicht: Es fragt sich, wo und ob überhaupt Verantwortung und Handeln palästinensischer, arabischer oder islamistischer Akteure/innen in den Blick kommen. Meist formulieren aber auch Lehrkräfte Kritik nur an der Politik Israels, daher gehören zu den Fortbildungen auch die Reflexion der eigenen Bezüge und Emotionen zum Konflikt und die Frage, welche Rolle sie für dessen Wahrnehmung und Interpretation spielen können.

Weitere Voraussetzungen für guten Unterricht über den Nahostkonflikt

Die Fortbildungen und Materialien nichtschulischer Bildungsträger, die den Nahostkonflikt selbst thematisieren, folgen Prinzipien, die sich zum Teil auch in den Empfehlungen der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission finden5 und an denen sich Multiplikatoren/innen für die Beurteilung von Materialien oder bei der Vorbereitung eigener Unterrichtsinhalte orientieren können. Knapp zusammengefasst geht es um folgende Ziele:

  • Die Irritation falscher Grundannahmen. Dazu gehört die Gleichsetzung von Israelis und Juden/Jüdinnen hier und israelischen Akteuren/innen im Land selbst bzw. in den besetzten Gebieten und ebenso die Vorstellung eines Religions- und Kulturkrieges, nach der „Juden“ und „Araber“ oder „Juden“ und „Muslime“ quasi naturgemäß im Gegensatz zueinander stünden. Weit verbreitet ist auch der Mythos, es habe einen Nationalstaat Palästina gegeben, auf dessen Territorium die zionistische Bewegung mit Hilfe Englands oder der USA Israel errichtet habe.
  • Die Irritation eines Konfliktverständnisses, das von einer einseitigen Aggression Israels oder des Zionismus gegen eine palästinensische Bevölkerung ausgeht, die nur als Opfer und ohne politische Strukturen dargestellt wird. Je nach Zeitraum müssen die beteiligten arabische Staaten, palästinensischen Organisationen und andere politische Akteure benannt werden.
  • Die Irritation eines statischen, allein von der Gegenwart ausgehenden Konfliktverständnisses. Die historische Entwicklung des Konflikts und Veränderungen bei den unterschiedlichen Akteuren/innen müssen thematisiert werden. So kann beispielsweise aufgezeigt werden, dass die heute im Vordergrund stehende religiöse Begründung für den Anspruch auf Land seitens islamistischer Organisationen oder auch seitens religiöser israelischer Siedler/innen lange Zeit nur eine nebengeordnete Rolle spielte.
  • Die Anerkennung von berechtigten Interessen auf beiden bzw. verschiedenen Seiten und die Irritation der Wunschvorstellung, einfache Lösungen finden zu können. Beliebt ist beispielsweise die Simulation einer UNO-Friedenskonferenz als Rollenspiel; wichtiger aber ist, dass Schüler/innen und Lehrkräfte verstehen, warum ein Ausgleich der Interessen immer wieder misslungen ist.
  • Die Irritation einer dichotomen Sichtweise auf den Konflikt. Unterschiedliche Konfliktakteure/innen mit ihren je unterschiedlichen Positionen sowohl in Israel als auch bei den palästinensischen Organisationen bzw. den arabischen Ländern müssen sichtbar werden.
  • Der Blick auf den Alltag der Menschen vor Ort jenseits politischer Akteure/innen, um zur Entwicklung von Empathie anzuregen.

Diesen Empfehlungen ist ein weiterer Punkt hinzuzufügen, den sehr wenige Fortbildungen explizit aufgreifen und der sich auf ein spiegelbildliches Problem zum Antisemitismus bezieht, den Rassismus gegen Araber/innen oder Muslime/innen. Teilweise lässt sich in Fortbildungen mit Multiplikatoren/innen beobachten, dass Ressentiments gegen Palästinenser/innen bzw. Araber/innen und/oder Muslime/innen geäußert werden. Dies geschieht nicht nur mit Blick auf die Akteure/innen im Nahen Osten, sondern auch auf die eigenen Schüler/innen aus palästinensischen oder muslimischen Familien. Zu den notwendigen Voraussetzungen für einen guten Unterricht zum Nahostkonflikt gehört auch Sensibilität für (eigene und gesellschaftlich verbreitete) rassistische Ressentiments.

Die Empfehlungen, die hier knapp dargestellt wurden, müssen einerseits auf den jeweiligen Kontext, etwa den betrachteten Zeitraum, heruntergebrochen werden. Andererseits lassen sie sich sehr einfach verallgemeinern: Es geht darum, überhaupt neben Israel andere Konfliktbeteiligte zu sehen und neben „den Palästinensern“ auch deren politische Organisationen, die beteiligten arabischen Staaten, die islamistischen Organisationen und den Iran in den Blick zu nehmen oder auch die Vereinten Nationen und andere internationale Akteure. Oder ganz einfach: eine Konfliktanalyse vorzunehmen, wie dies die Politikdidaktik für internationale Konflikte vorsieht. Insofern kann ein guter politischer Unterricht die beste Prävention von israelbezogenem Antisemitismus sein.

 

Dr. Rosa Fava ist Erziehungswissenschaftlerin und Leiterin des Projekts »ju:an« - Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit der Amadeu Antonio Stiftung.

Anmerkungen

1 Vgl. dazu den Beitrag von Rosa Fava „Nahostkonflikt und Antisemitismus im Unterricht. Israelbezogener Antisemitismus unter Lehrenden“ auf dieser Onlineplattform.

2 Vgl. Deutsch-Israelische Schulbuchkommission (Hg.): Deutsch-israelische Schulbuchempfehlungen. (Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung – Eckert. Expertise; Bd. 5.) Göttingen 2015. PDF

3 Vgl. Julia Bernstein u.a.: „Mach mal keine Judenaktion!“ Herausforderungen und Lösungsansätze in der professionellen Bildungs- und Sozialarbeit gegen Antisemitismus. Frankfurt am Main 2018, S. 168ff. PDF

4 Die folgenden Ausführungen basieren auf Forschungen zur Didaktik des Nahostkonflikts, die die Autorin von Januar 2017 bis Mai 2018 als W. Michael Blumenthal Fellow des Jüdischen Museums Berlin durchführte. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.

5 Deutsch-Israelische Schulbuchkommission (wie Anm. 2) PDF; vgl. dazu auch Jörg Rensmann: Dringend reformbedürftig: das Israelbild in deutschen Schulbüchern. In: Bernstein u.a. (wie Anm. 3), S. 158-161. PDF

 

Zum Weiterlesen

Rosa Fava: Feindschaft gegen Israel als antisemitisches Ressentiment. In: Hans-Peter Killguss/Marcus Meier/Sebastian Werner (Hg.): Bildungsarbeit gegen Antisemitismus. Grundlagen, Methoden & Übungen. Frankfurt am Main 2020, S. 158-168.

Rosa Fava: Streitpunkt Jerusalem. In: Hans-Peter Killguss/Marcus Meier/Sebastian Werner (Hg.): Bildungsarbeit gegen Antisemitismus. Grundlagen, Methoden & Übungen. Frankfurt am Main 2020, S. 171-176.

 

 

Bildnachweis: Manuel Toro / unsplash.com

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