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Israelbezogener Antisemitismus unter Lehrenden

Nahostkonflikt und Antisemitismus im Unterricht

Kann der Nahostkonflikt als Unterrichtsthema einen Beitrag zur Bekämpfung von Antisemitismus leisten? Viele Lehrkräfte sind selbst nicht frei von antisemitischen Ressentiments. Deshalb müssen thematische Fort- und Weiterbildungen die Lehrenden selbst in den Blick nehmen. VON ROSA FAVA

Der israelisch-palästinensische Konflikt wird immer wieder durch Krieg oder andere Formen bewaffneter Gewalt ausgetragen. Weltweit und auch in Deutschland gibt es Protest- und Friedenskundgebungen, die sich meist allein gegen Israel richten und auf denen teilweise sehr gewaltvoll antisemitische Parolen skandiert und Menschen bedroht oder angegriffen werden. Viele öffentliche Stimmen aus Politik und Gesellschaft reagieren auf das Phänomen, dass weltweit Jüdinnen und Juden für die negativ bewertete Politik Israels in Verantwortung genommen und sie oder jüdische Einrichtungen angegriffen werden, und sprechen die Empfehlung aus, den Nahostkonflikt zum obligatorischen Unterrichtsthema zu machen. Durch eine sachgerechte und neutrale Vermittlung der Konfliktgrundlagen soll, so die Hoffnung, auch ein Beitrag zur Bekämpfung von Antisemitismus geleistet werden. Je nach Bundesland und Schulform gehört die Thematisierung des israelisch-palästinensischen Konflikts und der verschiedenen Akteure bereits zu den meist optionalen oder empfohlenen, selten obligatorischen Themen und wird dann häufig unter Oberkategorien wie „Internationale Konflikte und Lösungsinstrumente“ geführt.

Wenn der Nahostkonflikt als Pflichtthema gesetzt wird, setzt dies voraus, dass zumindest die Lehrkräfte der einschlägigen Fächer – zuvorderst Politik, Geschichte, Erdkunde, Ethik und Religion – den Konflikt so vermitteln können, dass Schüler/innen in Zukunft keine Ansatzpunkte für Antisemitismus finden. Lehrer/innen selbst, so eine weitere Voraussetzung, hätten dem Konflikt und Israel gegenüber eine objektive Haltung, die frei von antisemitischen Ressentiments sei. Anhand aktueller Studienergebnisse muss dies jedoch bezweifelt werden.

Lehrer/innen als Teil des Problems

Die Ende 2018 veröffentlichte Studie „Mach mal keine Judenaktion!“1, eine Befragung von Lehrkräften, anderen Multiplikatoren/innen und Schülern/innen, darunter viele Jüdinnen und Juden, bestätigt die in Fachkreisen lange geteilte, aber bislang schwierig empirisch zu belegende Erkenntnis: Viele Lehrkräfte verhalten sich selbst antisemitisch im Kontext des Nahostkonflikts. Sie sehen in jüdischen Kollegen/innen und jüdischen Schülern/innen Repräsentanten/innen Israels und übertragen ihre negativen Einstellungen dem Land gegenüber auf sie; sie verstehen ihre eigenen antisemitische Äußerungen gegen Israel oder diejenigen von Schülern/innen als Kritik einer willkürlich bösartigen israelischen Politik; sie haben kein Verständnis vom Nahostkonflikt und sehen allein Israel als Aggressor gegen eine unschuldige Bevölkerung, geleitet von als typisch jüdisch verstandenen negativen Eigenschaften wie Rachsucht oder unmenschliche Härte.2 Dementsprechend fällt auch das Urteil jüdischer Lehrkräfte aus: Sie schätzen „die Kompetenz unter Lehrkräften zum Thema Nahostkonflikt ‚gleich null‘ ein“ und betonen, dass Lehrkräfte Antisemitismus im Bezug auf Israel gar nicht erkennen könnten, da „vieles selbst bei den Lehrkräften so im Kopf sei“.3 Quasi jedes bekannte Stereotyp ist unter Lehrern/innen, Sozialarbeitern/innen und anderen an Schulen tätigen Berufsgruppen selbst verbreitet oder wird bei Schülern/innen geduldet und nicht aufgeklärt: Die Gleichsetzung israelischer Politik im Konflikt mit palästinensischen Organisationen mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, die Staatsgründung als Landraub, die Charakterisierung Israels als rassistischer Apartheidstaat und als Zentrale einer globalen Verschwörung, die Zuschreibung des Kindermords.4 Angesichts solcher Befunde wird deutlich, dass die landläufige Reaktion, Aufklärung über Antisemitismus zu einer Aufgabe von Schule zu machen, die Tiefe der Problematik nicht erschließt.

Unzertrennliche Verbindung: Judenfeindschaft und Feindschaft gegen Israel

Über den so genannten israelbezogenen Antisemitismus wird seit Jahren viel gesprochen, weil er zu den am weitesten verbreiteten Formen des Antisemitismus zählt. Die Beispiele in der oben zitierten Studie verdeutlichen, wie eng das Ressentiment und kritische Einschätzungen miteinander vermengt sind: Einerseits ist erkennbar, wie eine negative Einstellung gegen Israel auf beliebige jüdische Personen übertragen wird, andererseits wird deutlich, dass die negative Einstellung gegen Israel selbst wiederum ihren Ursprung in antisemitischen Stereotypen oder auch in Schuld- und Schamgefühlen wegen des Holocaust hat und gerade nicht sachlicher Kritik entspringt. Ein typisches Beispiel aus der Studie verdeutlicht dies: „Da sind sie [Israelis, J.B.] sehr hart und grausam oft […] Die letzten Vorfälle am Gaza-Streifen, da sterben Leute, weil sie auf die andere Seite vom Zaun wollen, das geht nicht, genauso wenig wie Menschen in die Gaskammer zu schicken, das geht eigentlich auch überhaupt gar nicht, aber war halt so“, äußert sich eine Lehrkraft.5 An der hier gezogenen Gleichsetzung und Beurteilung israelischer Politik oder derjenigen der Hamas ist nichts rational. Nicht jede Person, die eine feindselige Haltung gegen Israel hat, richtet diese auch gegen Jüdinnen und Juden im Umfeld, aber die Studie legt nahe, dass dies sehr häufig der Fall sei. Eine Unterscheidung zwischen Jüdinnen und Juden oder Israelis und der israelischen Regierungspolitik sollte eine Selbstverständlichkeit sein, aber die im antisemitischen Ressentiment tiefenwirksame Vorstellung eines jüdischen Kollektivs greift auch bei Lehrkräften.

Fortbildungen ja – aber wie?

Die hier dargestellten Befunde decken sich mit den Ergebnissen anderer Studien und mit den Erfahrungswerten jüdischer Schüler/innen, Eltern und Lehrkräfte sowie vieler Fachleute aus dem Bereich der Lehrerfortbildung. Unabhängig davon, ob der Nahostkonflikt nun optionales oder obligatorisches Unterrichtsthema ist, wird hier die Notwendigkeit geeigneter Fortbildungen deutlich. In den Workshops und Seminaren darf es jedoch nicht lediglich um Sachwissen über den Konflikt oder Methoden für die Arbeit mit Schülern/innen gehen. Wichtiger ist die Beschäftigung mit dem Phänomen des israelbezogenen Antisemitismus und damit, wie stark dieser die Wahrnehmung und Deutung sowie Emotionen und Haltungen zum Konflikt beeinflusst. Lehrkräfte und andere Mitarbeiter/innen an Schulen müssen die Bereitschaft mitbringen, die eigenen Wissensbestände und Selbstverständlichkeiten kritisch zu reflektieren und ihre Materialien, Aufgabenstellungen und Bewertungskriterien zu überprüfen.

 

Dr. Rosa Fava ist Erziehungswissenschaftlerin und Leiterin des Projekts »ju:an« - Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit der Amadeu Antonio Stiftung.

Anmerkungen

1 Julia Bernstein u.a.: „Mach mal keine Judenaktion!“ Herausforderungen und Lösungsansätze in der professionellen Bildungs- und Sozialarbeit gegen Antisemitismus – Im Rahmen des Programms „Forschung für die Praxis“. Frankfurt am Main 2018. PDF

2 Vgl. ebd., S. 55ff., 100ff. und 122-198.

3 Ebd., S. 101.

4 Vgl. ebd., S. 127-142.

5 Ebd., S. 136.

 

Bildnachweis: Erik Eastman / unsplash.com

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