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Politische Unbildung. Flüchtige Notizen zu Verschwörungstheorien.

Verschwörungstheorien gerieren sich gern als Bildungsangebote. Mit stundenlangen Youtube-Videos, endlosen Blogartikeln, Vorträgen, Tagungen, Workshops etc. wird dem geneigten Publikum suggeriert, ein Geheimwissen über die Welt zu erlangen. Das Vokabular ihrer Vermarktung ähnelt dem der politischen Bildungsarbeit: Es wird auf kritisches Denken gesetzt, selbstverständliche Narrative sollen hinterfragt, eine unabhängige Meinung gebildet werden. Einlösen kann die Verschwörungstheorie diesen Anspruch selbstverständlich nicht, aber sie setzt sich damit mehr oder minder dezidiert in Konkurrenz zur politischen Bildungsarbeit, die den Verschwörungstheoretiker:innen bestenfalls lediglich als ein Wissensbestand unter vielen gilt. Der beliebige Umgang mit Wahrheit soll der Verschwörungstheorie zu ihrem vermeintlichen Recht verhelfen, gleichrangig neben wissenschaftlichen Theorien zu stehen. „Das ist nur eine Sicht auf die Dinge zu schauen, ich habe eine andere, das ist meine Meinung und die ist ebenso gerechtfertigt“, so oder ähnlich reagieren Verschwörungstheoretiker:innen häufig, wenn ihre Ideologie auf den Prüfstand gestellt wird. Eine politische Bildungsarbeit, die sich auf Wissensvermittlung und also den zwanglosen Zwang des besseren Arguments stützt, manövriert sich hier schnell in eine Sackgasse. Die Verschwörungstheorie ist apodiktisch, von außen kaum irritierbar. Obwohl sie sich selbstständig in Widersprüche verheddert, scheint ihr Geltungsanspruch davon kaum berührt. Sie erhält sich nicht trotz, sondern durch ihre Widersprüche, in denen sich die Zerrissenheit derjenigen spiegelt, die an sie glauben. Es handelt sich um eine Ideologie, die zwar auf nachvollziehbare Bedürfnisse nach Übersichtlichkeit und Handlungsfähigkeit reagiert, jedoch in sich irrational ist und deshalb durch Vernunft nicht gebannt werden kann. Deshalb wird immer wieder darüber diskutiert, ob der Begriff Verschwörungstheorie überhaupt angemessen ist, ob damit nicht Mythen oder – neutraler formuliert – Narrative geadelt würden. So sinnvoll diese Einwände auch sind, beschreibt der Begriff Verschwörungstheorie einerseits zumindest einen Selbstanspruch, dessen Analyse Aufschluss über die Motivation geben kann, dieser Ideologie anzuhängen. Und andererseits zieht die Verteidigung des Theoriebegriffs vor der Aneignung durch die Verschwörungsideologie eine Demarkationslinie, die in der Praxis so scharf nicht gezogen ist: Auch akademische Theorien können bisweilen die Denkform einer Verschwörungstheorie annehmen, etwa wenn in der Evolutionspsychologie nach überzeitlichen Argumenten gesucht wird, warum Frauen angeblich schlechter einparken können.

Was ist aber im Idealfall der Unterschied zwischen einer Verschwörungstheorie und einer wissenschaftlichen Theorie? Grob verkürzt ist die akademisch-wissenschaftliche Theorie meist Ergebnis eines Wechselspiels aus induktiver und deduktiver Logik. Induktion bedeutet in etwa, dass Wissen aus Erfahrung gewonnen wird. Aus der Beobachtung von empirischen Phänomenen wird ein Schluss gezogen, die Phänomene werden zueinander in ein sinnvolles Verhältnis gesetzt. Es handelt sich demgemäß um eine Abstraktion, eine Denkleistung, die in der Theorie mündet. Die Theorie ist dabei immer mehr als lediglich die Summe der beobachtbaren Phänomene, sie erhebt einen Geltungsanspruch über die Phänomene hinaus. Beispielsweise behauptet sie, dass wenn ähnliche Voraussetzungen erfüllt sind auch ähnliche Ergebnisse eintreffen werden. Die Anwendung der Theorie auf den Einzelfall, also den umgekehrten Weg der Induktion, nennt man gemeinhin Deduktion. Damit nicht jeder Einzelfall von Neuem analysiert werden muss und Prognosen angestellt werden können, gibt man der Theorie sozusagen einen Vertrauensvorschuss, auch hier gültig zu sein. Wichtig dabei ist jedoch, dass das Vertrauen in die Theorie nicht grenzenlos sein darf, sondern es ein Widerspruchsrecht der Empirie, also der erfahrbaren Wirklichkeit geben muss. Wenn sich die Welt nicht so verhält, wie die Theorie es behauptet, muss die Theorie revidiert oder gar verworfen werden. Diese vereinfachte Darstellung folgt natürlich einem Idealbild, das die einzelwissenschaftlichen Disziplinen auch gern von sich selbst entwerfen, hinter das jedoch oft zurückgefallen wird. Vollständig an solchen Anforderungen scheitern muss jedoch die Verschwörungstheorie. Zwar mutet sie bisweilen wie wissenschaftliche Theorie an und ist bemüht, möglichst viele Zahlen, Daten, Namen, Quellen und Fußnoten ins Feld zu führen, jedoch ist ihre Prämisse, ihre Voraussetzung, dass es eine Verschwörung gibt, vollkommen unhintergehbar. In der Folge sucht sie fieberhaft ausschließlich nach vermeintlichen Belegen, die diese Voraussetzung stützen würden. Aus den letzten Winkeln des Internets werden dubiose Artikel und Aufsätze hervorgekramt, die den Verschwörungsgläubigen von eminenter Wichtigkeit zu sein scheinen, während die teilweise zigfache Widerlegung der Belege schlicht nicht wahrgenommen wird.

Diese selektive Wahrnehmung ist ein zentrales Kennzeichen: Die Verschwörungstheorie kann zu einem alltagsreligiösen Glaubenssystem werden, an dem sich das Individuum aufrichtet, ihr Zusammenbruch würde auch das Ich nicht unbeschadet zurücklassen. In Ihrem Buch Fake Facts (2020) beschreiben die Psychologinnen Katharina Nocun und Pia Lamberty den recht gut dokumentierten Fall einer kleinen UFO-Sekte in den 1950ern rund um die Freizeitprophetin Dorothy Martin. Als Martins Ankündigung eines bevorstehenden Kontakts mit den Außerirdischen nicht eintrat, stiegen einige enttäuscht aus dem Zirkel aus, andere aber, die sehr involviert in den abstrusen Glauben waren, werteten noch das Ausbleiben des Erstkontakts als Beleg für die Richtigkeit der Prophezeiung.

Wie kann politische Bildungsarbeit da noch eingreifen? Die vielmals enttäuschende Antwort scheint leider zu lauten: Wenn jemand so tief in den Sumpf der Verschwörungsmythen hinabgesunken ist, wird es sehr schwierig, die Person da wieder herauszuziehen. Oft geht es erst mal darum, die missionarische Überzeugungsarbeit, die politische Unbildung, welche überzeugte Verschwörungstheoretiker:innen an anderen zu leisten versuchen, zu hintertreiben. Bisweilen gilt es, die begrenzten Ressourcen der Aufklärungsarbeit nicht zuvorderst an die quasireligiösen Eiferer zu vergeuden, sondern insbesondere diejenigen anzusprechen, die sich noch in Zwischenstadien befinden. Der Glauben an Verschwörungstheorien überkommt einen nicht über Nacht, sondern ist ein Prozess, in den möglichst früh interveniert werden sollte. Insbesondere seit Ausbruch der Coronapandemie und der sogenannten Querdenken-Demonstrationen erreichen uns in der Bildungsstätte Anne Frank etliche Anfragen, Workshops oder Vorträge zum Thema abzuhalten. Eine der häufigsten Rückmeldung von Teilnehmer:innen, die Freunde oder Familienmitglieder an Verschwörungstheorien verloren haben, ist dort das Bedauern, nicht früh genug eingegriffen zu haben. Aus dem Wunsch heraus, die Beziehung nicht zu gefährden, wird vermieden, eine nahestehende Person zu konfrontieren, die von der anfänglichen Skepsis an „offiziellen Erzählungen“ in den Verschwörungsglauben driftet. Die Erzählungen enden oft mit einem (geplanten) Kontaktabbruch und Selbstvorwürfen. Auch wenn natürlich nahestehende Personen nicht verantwortlich sind, dass jemand sich in Verschwörungstheorien verliert, können diese Erzählungen eine Warnung sein, nicht das gleiche traurige Schicksal erleiden zu müssen. Gerade die emotionale Nahbeziehung erlaubt es, den Verschwörungsglauben auf einer anderen Ebene aufzuhalten, als die politische Bildungsarbeit das vermag. Durch sie kann die affektive Grundlage der Ideologie angegangen werden, die Unsicherheiten, Ängste, Überforderungen und Einsamkeit, all die Gefühle, mit der eine Person nicht umgehen kann, weshalb sie davor in die Verschwörungstheorie flüchtet. Wenn andauernd vermittelt werden kann, dass es andere Wege gibt, mit diesen affektiven Zuständen umzugehen, wird die Verschwörungstheorie womöglich subjektiv obsolet.

Bildnachweis: Wesley Tingey / unsplash.com

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