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Jugendkultur

Antisemitismus im deutschsprachigen Gangsta-Rap

Hip-Hop und Rap sind die derzeit weitverbreitetsten, auch kommerziell erfolgreichsten Jugendkulturen in Deutschland. Ihre Musik wird millionenfach angehört und gestreamt. Insbesondere das Genre des Gangsta-Rap gerät immer wieder wegen menschenverachtender Einstellungen in die Kritik. Manche Texte knüpfen an antisemitische Ressentiments und Welterklärungsmuster an. VON JAKOB BAIER

Die öffentliche Diskussion um die beiden Gangsta-Rapper Kollegah und Farid Bang im Kontext der Echo-Debatte bildete im Frühjahr 2018 den vorläufigen Höhepunkt in der öffentlichen Auseinandersetzung mit Antisemitismus im deutschsprachigen Rap. Die Debatte konzentrierte sich dabei jedoch vor allem auf die Zeilen „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“ aus dem Lied „0815“ der beiden genannten Gangsta-Rapper aus dem Jahr 2017. Die breite mediale Empörung darüber betrachteten Farid Bang und Kollegah als Beleg für die verbreitete Unkenntnis der Kommentatoren/innen in Bezug auf die Kunstform des Battle-Rap, in dessen Tradition sie ihre Zeilen sahen. Zwar drückt sich in den Zeilen in erster Linie eine Verachtung für die Opfer der Shoa aus. Bilder, Codes und Metaphern, die auf ein antisemitisches Weltbild hindeuten, finden sich jedoch in wesentlich expliziterer Form in anderen Liedern und Musikvideos von Kollegah, der zu den kommerziell erfolgreichsten deutschen Musikern der Gegenwart zählt. Sicher sind solche antisemitischen Inhalte nicht repräsentativ für den Gangsta-Rap als solchen, schon gar nicht für Rap aus Deutschland im Allgemeinen, der vielfältige Ausdrucksformen kennt. Es fällt jedoch auf, dass es vor allem die bekanntesten – zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausschließlich männlichen – Rapper des Genres Gangsta-Rap sind, die sich in unterschiedlichem Ausmaß antisemitischer Bilder, Begrifflichkeit und Mythen bedienen.

Ein Beispiel bildet die häufige Bezugnahme auf die „Rothschild-Theorie“, eine antisemitische Verschwörungserzählung, die bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen angeblich weltweiten, wirtschaftspolitischen Einfluss einer jüdischen Finanzelite zu belegen versucht. Auf sie bezieht sich der Rapper Kollegah in einer Stellungnahme auf Facebook im Jahr 2014, in der er seine Annahme belegen möchte, dass eine kleine Minderheit durch ihren Einfluss im globalen Finanzwesen ganze Staaten kontrolliere. Im selben Jahr erklärten die beiden Rapper Celo&Abdi in ihrem Lied „Siedlungspolitik“, dass die mit der Gentrifizierung einhergehende Verdrängung in Großstädten von derselben Gier getrieben sei wie der Siedlungsbau im Westjordanland: „Tanzt der Teufel diabolisch à la Dynastie Rothschild“. Ende 2015 greift der Offenbacher Rapper Haftbefehl auf seinem Mixtape „Russisch Roulette“ den Rothschild-Mythos auf (u.a. „Rothschild-Theorie – konsumier‘ so lang dein Atem hält“ im Lied „Hang the Bankers“). In ihrem Video „Mondsichel“ beziehen sich Celo&Abdi 2017 noch einmal auf den antisemitischen Verschwörungsmythos und im August 2018 singt der Berliner Rapper UFO361 im Refrain des Liedes „Hotline“: „Mache Cash, wie die Rothschilds“.

Die Verwendung von antisemitischen Codes und Begrifflichkeiten sowie die Bezugnahme auf antisemitische Mythen gehen im Gangsta-Rap oftmals mit einer Thematisierung des Nahostkonflikts einher. Dies erfolgt in der öffentlichkeitswirksamen Parteinahme vieler (vor allem bekannter) Gangsta-Rapper für die palästinensische Sache, die ihren Ausdruck in bestimmten Liedern, Musikvideos oder Statements in sozialen Netzwerken findet. Die antiisraelischen Positionierungen sind dabei entweder eindeutig antisemitisch konnotiert, unhistorisch oder kontrafaktisch und somit anknüpfungsfähig für antisemitische Diskurse. Die hochkomplexe Konfliktsituation wird dabei nicht als historischer Interaktionsprozess von mindestens zwei Konfliktparteien präsentiert. Vielmehr erfolgt – wie im Gangsta-Rap typisch – eine Darstellung des Konflikts in einer stark vereinfachten Freund-Feind-Schematik: auf der einen Seite die bösen, aggressiven, stets gewalttätigen Israelis und auf der anderen Seite die notleidende palästinensische Zivilbevölkerung. Am deutlichsten wird dies in Kollegahs antizionistisch-antisemitisch zu klassifizierenden Film „Kollegah in Palästina“ (2016) und seinem antisemitischen Musikvideo „Apokalypse“ (2016). Aber auch andere Rapper wie Massiv, Sinan-G, Celo&Abdi, Fard&Snaga oder Bushido positionieren sich antizionistisch-antisemitisch, indem sie in ihren Liedern beispielsweise über islamistische Terroranschläge auf Israel fantasieren.

Trotz einer Vielzahl von Beispielen, in der die Verwendung eindeutiger Codes und Chiffren auf ein antisemitisches Weltbild hindeutet, bezog sich der mediale Diskurs über Antisemitismus im Rap, wie zuletzt anhand der Echo-Debatte deutlich wurde, besonders auf einzelne Textzeilen, die in ihrer isolierten Betrachtung das Phänomen Antisemitismus im Rap nur unzureichend beschreiben. Antisemitische Welterklärungsmuster, die mal mehr und mal weniger offen und oftmals durch Codewörter vermittelt werden, finden sich dabei weniger in einzelnen Zeilen des Battle-Rap, sondern sie zeigen sich vielmehr dann, wenn Gangsta-Rapper in ihren Liedern, Musikvideos und Statements die Welt erklären, ihre Sicht auf gesellschaftliche Prozesse darlegen und dabei bestimmte Herrschaftsverhältnisse antisemitisch deuten. In einem vereinfachten Weltbild, das vornehmlich aus Gut und Böse besteht, sowie in ihrer vermeintlich rebellischen und zugleich autoritären sowie sexistischen und antifeministischen – und damit letztlich antiaufklärerischen – Inszenierung als starke Männer geben sie vor, gegen „die da oben“ zu agieren. Ihre Gegner markieren sie dabei verschwörungsideologisch entweder als jüdisch oder weisen sie als Repräsentanten des jüdischen Staates Israel aus.

Das Streben nach Provokation und Tabubruch und damit nach medialer Aufmerksamkeit ist dabei nicht die alleinige Erklärung für die Existenz des Antisemitismus im Rap. Vielmehr scheint sich darin eine Haltung auszudrücken, die sich fragmentarisch aus Textzeilen, aus durch Musikvideos vermittelten Bildern und Interviewaussagen zu einem Gesamtbild zusammenfügen lässt. Eine kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen Antisemitismus im Gangsta-Rap ist daher unabdingbar, um der Entfaltung antisemitischer Ressentiments in der gegenwärtig bedeutsamsten Jugendkultur entgegenzuwirken.

 

Jakob Baier lebt in Berlin und forscht an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Rahmen seiner Dissertation zum Judenbild im deutschsprachigen Rap.

Zum Weiterlesen

Felix Denk: Wie sind die denn drauf? Interview mit Jakob Baier. In: fluter.de vom 20.04.2018. Online

Marc Dietrich/Martin Seeliger (Hg.): Deutscher Gangsta-Rap. Sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem Pop-Phänomen. Bielefeld 2012.

Marc Dietrich/Martin Seeliger (Hg.): Deutscher Gangsta-Rap II. Popkultur als Kampf um Anerkennung und Integration. Bielefeld 2017.

 

Zum Sehen & Hören

TV-Doku: „Die dunkle Seite des deutschen Rap – Ist deutscher Hip Hop antisemitisch?“ Ein Film von Viola Funk (aus der Reihe „Die Story“), WDR 2018, 45 Min. Online

Audio-Podcast: „COSMO Machiavelli. Der Podcast über Rap und Politik / Episode 7: Immer wieder – Antisemitismus“, WDR Radio 07.11.2018, 65 Min. Online auf Spotify oder Apple Podcasts

 

 

Bildnachweis: Jane Duursma / unsplash.com

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