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Mündigkeit, Toleranz und Fortbestehen von Judenfeindschaft

Judenfeindschaft in der Frühen Neuzeit

Die Frühe Neuzeit markiert den Übergang vom Mittelalter in die Moderne. Trotz des Humanismus von Renaissance, Reformation und Aufklärung bleibt der christliche Antijudaismus in ganz Europa wirkmächtig. Aufgrund ihrer Stellung in Ökonomie und Gesellschaft werden Jüdinnen und Juden zur Projektionsfläche unterschiedlicher Anfeindungen, während sozialer Revolten kommt es zu Massakern. Forderungen nach Gleichberechtigung der jüdischen Minderheit durch die neue bürgerliche Klasse werden von christlich und national argumentierenden Judenfeinden zurückgewiesen.

Als Frühe Neuzeit wird die Zeitspanne zwischen dem Ende des Mittelalters und dem Beginn der Moderne mit der Französischen Revolution im Jahr 1789 bezeichnet. Sie gilt als Hochphase des Absolutismus. In der Renaissance entdeckten die Humanisten/innen die Werte und das Menschenbild der Antike wieder und traten für Toleranz, Glaubensfreiheit und Bildung ein. Historisch bedeutsame Ereignisse wie die Reformation oder der Beginn der Aufklärung fallen in diese Epoche. Der christliche Antijudaismus blieb hingegen wirkmächtig und unterschied sich in den Ländern West- und Mitteleuropas in dieser Zeit nur geringfügig.

Am Beginn der Frühen Neuzeit zum Ende des 15. Jahrhunderts steht die Spanische Inquisition, in deren Fokus vor allem jüdische und muslimische Menschen gerieten. Für sie bedeutete dies Zwangstaufen, brutale Übergriffe mit zahlreichen Opfern und schlussendlich die Vertreibung der nicht zum Katholizismus Bekehrten von der iberischen Halbinsel.

Die mittelalterliche Stigmatisierung durch spezielle Kleidungsvorschriften von Seiten der christlichen Umwelt galt noch immer. Verdächtigt, angefeindet und verfolgt wurden nun zunehmend nicht mehr nur direkte Angehörige des Judentums, sondern auch ihre Nachkommen und diejenigen, denen eine jüdische Herkunft oder zumindest Sympathie für Jüdinnen und Juden unterstellt wurde.

Reformation und traditionelle Judenfeindschaft

Christliche Theologen versuchten seit dem 13. Jahrhundert immer wieder durch den Verruf des Talmuds – jener Sammlung von Gesetzestexten über die jüdische Kultur und Lebensweise, die neben der hebräischen Bibel zur bedeutendsten religiösen Quelle des Judentums gehört –, mit aus dem Zusammenhang gerissenen und gefälschten Zitaten das Judentum zu verleumden und zu verdammen. Einzelne christliche Humanisten traten indes als Verteidiger des Judentums auf und nahmen die religiösen Traditionen der Jüdinnen und Juden in Schutz.

Auch der Reformator Martin Luther (1483-1546) sprach sich zunächst gegen ihre Verfolgungen aus und widersprach den mittelalterlichen Legenden der Brunnenvergiftung und des Ritualmords. Er hoffte, dass sein Kampf gegen den Papst und sein Eintreten für eine Erneuerung der Kirche dazu führen würden, dass Jüdinnen und Juden Christus als Erlöser anerkennen und zahlreich zum Christentum konvertieren würden. Als dies jedoch ausblieb, wurde Luther seinerseits zum glühenden Judenhasser. Im Jahr 1543 veröffentlichte er die Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“, in der er in drastischer Sprache Jüdinnen und Juden angriff und zur Gewalt gegen sie aufrief. Er forderte ihren radikalen Ausschluss aus der Bevölkerung und betonte, dass besonders die getauften Jüdinnen und Juden eine große Gefahr darstellen würden. Damit griff Luther auf jene Motive der christlichen Judenfeindschaft zurück, die er zuvor noch zurückgewiesen hatte.

Mit der Reformation und der Gegenreformation sowie der konfessionellen Aufspaltung Europas im 17. Jahrhundert spaltete sich das Christentum in verschiedene Konfessionen. Zunehmend zeigten sich auch Unterschiede zwischen den katholischen, protestantischen und reformierten Formen christlicher Judenfeindschaft. Auf unterschiedliche Weise bedienten sich alle gleichermaßen aus dem Reservoir des religiösen Antijudaismus und zielten auf die Bekehrung von Jüdinnen und Juden. Die Verwüstungen und die traumatischen Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) sowie der sich anschließenden Religionskriege beendeten den Geltungs- und Herrschaftsanspruch einer einzigen christlichen Konfession auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs. Die tendenzielle Abnahme religiöser Intoleranz führte allerdings nicht dazu, dass der überlieferte christliche Judenhass überwunden wurde.

Juden im Wirtschaftsleben der Frühen Neuzeit

Jüdisches Leben hing nach wie vor von der willkürlichen Gunst und der Duldung des jeweiligen Herrschers ab. Während einige Juden bereits im Mittelalter als „Hofagenten“, Münzmeister oder Finanzverwalter an Adels- und Fürstenhäusern beschäftigt waren, etablierten sie sich im 17. und 18. Jahrhundert als „Hofjuden“ oder „Hoffaktoren“.

Insbesondere durch die Rolle einiger jüdischer Heeres- und Kriegslieferanten im Dreißigjährigen Krieg avancierten sie zu einer Institution an den europäischen Königshöfen. Ihre Aufgaben bestanden unter anderem in der Beschaffung von Waren und Krediten oder der Herstellung von Münzen. Zum Aufstieg der neuzeitlichen Territorialstaaten trugen sie als nützliches Instrument des Adels wesentlich mit bei. In Zeiten finanzieller Krisen wurde ihnen jedoch allein die Verantwortung dafür angelastet und oft entledigten sich Herrscher angehäufter Staatsschulden, indem sie die „Hofjuden“ zusammen mit den anderen Jüdinnen und Juden des Landes verwiesen oder mit Gewalt verfolgen ließen. Ihre Tätigkeit im wirtschaftlichen Bereich und der Neid um ihre Stellung an den absolutistischen Höfen nährten antijüdische Vorurteile von der angeblich engen Beziehung zwischen ‚den Juden‘ und Geld.

Für soziale Revolten in den unteren Ständen der Gesellschaft gegen die Unterdrückung wurden die „Hofjuden“ aufgrund ihrer vermeintlichen Nähe zur königlichen Macht daher zur willkommenen Projektionsflächen. In der Feudalwirtschaft Osteuropas standen jüdische Verwalter in ähnlicher Weise zwischen den Gutsbesitzern und der Landbevölkerung. Während des Kosakenaufstands Mitte des 17. Jahrhunderts kam es in der heutigen Ukraine zu grausamen Massakern an den Juden. 

Judenfeindschaft und die Anfänge der europäischen Aufklärung

Inspiriert durch Renaissance, Reformation und die Erschütterungen der Gesellschaft durch die Religionskriege begannen die Anhänger/innen der Aufklärung die traditionelle „gottgewollte“ Ordnung der ständischen Gesellschaft zu kritisieren und traten als Verfechter/innen der qua Geburt gegebenen Freiheit und Vernunft des einzelnen Menschen, für dessen Mündigkeit sowie für Toleranz und Bildung ein.

Während weite Teile der katholischen Kirche ihren Kampf gegen die entstehende Aufklärung mit ihrer Abneigung gegen das Judentum verbanden, beriefen sich hingegen zahlreiche protestantische Geistliche in ihren Vorwürfen gegen das Judentum auf die Ideen der Aufklärung. Für sie war das Judentum, im Gegensatz zum Christentum, nicht mit der Idee der Vernunft in Einklang zu bringen. Was die unterschiedlichen christlichen Konfessionen gegenüber Jüdinnen und Juden noch immer einte, war das Festhalten an dem Grundsatz der Bekehrung.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzog sich der allmähliche Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft. Vor allem in den Städten formierte sich mit dem Bürgertum eine neue gesellschaftliche Klasse, die sich in Teilen die Ideen der Aufklärung zu eigen machte. Damit einher ging die intensive Auseinandersetzung über die Stellung und den rechtlichen Status der Jüdinnen und Juden in der Gesellschaft. Die Forderungen nach gesellschaftlicher Gleichberechtigung der jüdischen Minderheit, wie sie beispielsweise 1781 in Preußen erhoben wurden, wiesen christlich und gleichzeitig national argumentierende Judenfeinde vehement zurück.

 

Zum Weiterlesen

Angelika Benz: Hofjuden. In: Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 3. Berlin 2010, S. 118-119.

Werner Bergmann: Geschichte des Antisemitismus. 4. Aufl. München 2010.

Werner Bergmann/Ulrich Wyrwa: Antisemitismus in Zentraleuropa. Darmstadt 2011.

Gideon Botsch: Von der Judenfeindschaft zum Antisemitismus. Ein historischer Überblick. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 28-30 (2014), S. 10-17. Online/PDF

Nicoline Hortzitz: Die Sprache der Judenfeindschaft in der frühen Neuzeit (1450-1700). Heidelberg 2005.

Julia König: Judenfeindschaft von der Antike bis zur Neuzeit. In: Dossier Antisemitismus. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) 2006. Online

Agnieszka Pufelska: Vernunft jenseits der Vernunft. Zur Judenfeindschaft in der Zeit der Aufklärung. In: Hans-Joachim Hahn/Olaf Kistenmacher (Hg.): Beschreibungsversuche der Judenfeindschaft. Zur Geschichte der Antisemitismusforschung vor 1944. Berlin 2015, S. 9-29.

 

 

Bildnachweis: ALP STUDIO / unsplash.com

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