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Antisemitismus von links

Linke können nicht antisemitisch sein? Ein Blick in die Geschichte und Gegenwart sozialer Bewegungen in Deutschland und anderswo zeigt, dass manche in der politischen Linken vertretenen Positionen mögliche Anschlussstellen für antisemitische Stereotype bieten. VON SINA ARNOLD

Antisemitismus in linken sozialen Bewegungen ist ein umstrittenes Thema: Die einen denken, dass Linke per se nicht antisemitisch sein können, würde doch eine Kritik an Herrschaft, Diskriminierung und Rassismus zu ihren zentralen Werten gehören. Die anderen sehen einen grundlegenden Judenhass bereits bei Karl Marx angelegt und finden, linke Israelfeindschaft sei eine der zentralen Ausdrucksformen von gegenwärtigem Antisemitismus.

Historische Beispiele

Historisch gibt es in der Tat zahlreiche Beispiele für antijüdische Ressentiments unter linken Vordenkern/innen, etwa bei Frühsozialisten und Anarchisten wie Pierre-Joseph Proudhon, Charles Fourier oder Michail Bakunin. Auch in der Sowjetunion und in den realsozialistischen Ländern, einschließlich der DDR, gab es sowohl antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung als auch staatliche Politiken, in denen Antisemitismus zum Ausdruck kam. Zuspitzung fanden sie in stalinistischen Kampagnen wie etwa dem Schauprozess gegen Rudolf Slánský und 13 andere führende Mitglieder der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei – darunter elf Juden – denen 1952 eine Verschwörung vorgeworfen wurde. Auch seit der sogenannten „Neuen Linken“ der 1960er Jahre finden sich Beispiele für Antisemitismus. Sei es, dass der Mitbegründer der Kommune I Dieter Kunzelmann der deutschen Linken 1969 einen „Judenknax“ vorwarf, dass die Gruppe „Tupamaros West-Berlin“ im selben Jahr am Jahrestag der Reichspogromnacht eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus Berlin zu zünden versuchte, oder dass Ulrike Meinhof von der RAF den palästinensischen Anschlag auf die israelische Mannschaft bei den olympischen Spielen 1972 in München als „antiimperialistisch, antifaschistisch und internationalistisch“ charakterisierte und Israel vorwarf, das Land hätte „seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden“.

Personalisierte Kapitalismuskritik...

Die Geschichte zeigt aber auch, dass der Kampf gegen Antisemitismus zumeist von links stattfand und etwa von antifaschistischen, kommunistischen oder sozialdemokratischen Organisationen oder Parteien getragen wurde. Anders als für die extreme Rechte ist Antisemitismus für die politische Linke nicht konstitutiv, im Gegenteil. Warum findet man ihn also trotzdem? Einerseits, weil auch Linke nicht grundsätzlich frei von gesamtgesellschaftlichen Denkweisen wie Rassismus, Sexismus oder eben Antisemitismus sind. Andererseits, weil manche linken Inhalte besonders anschlussfähig an antisemitische Stereotype sind. Zwar unterscheidet sich Antisemitismus in linken sozialen Bewegungen in seinen Grundstrukturen nicht von dem anderer politischer Akteure/innen – es gibt also keinen eigenen „linken Antisemitismus“. Aber es gibt doch einige Ausdrucksformen, die in einem linken Weltbild häufiger vorzufinden sind. So begreifen nicht alle Linken den Kapitalismus als ein systemisches, apersonales Herrschaftsverhältnis. Zum Teil wird er stattdessen als ein bewusstes Machwerk eines ausgewählten Kreises vorgestellt – etwa von Eliten, die die Geschicke der Ökonomie planen und lenken. In dieser personalisierten und dadurch verkürzten Kritik am Kapitalismus ist die Frage naheliegend, wer denn dieser Kreis an Leuten ist. Und oft genug kommen dann Verweise etwa auf „die Rothschilds“, „die Rockefellers“ oder die amerikanische „Ostküste“ – als Chiffre für Jüdinnen und Juden. Damit zusammenhängend stellen auch Verschwörungsideologien – etwa über die Anschläge vom 11. September – einen Anschlusspunkt dar, bei dem nur zu oft „Juden“ oder „Zionisten“ als die eigentlichen Ursacher ausgemacht werden.

...und der Nahostkonflikt

Eine weitere mögliche thematische Anschlussstelle ist der Nahostkonflikt. Die meisten Linken stehen Israel kritisch gegenüber und stellen sich einseitig auf die Seite der Palästinenser/innen. Seit dem Sechstagekrieg 1967 wurde der Antizionismus in linken Bewegungen in vielen Ländern dominant. Dazu tragen einige Positionen bei, die viele Linke selbstverständlich vertreten: ein vereinfachter Antiimperialismus, Antikolonialismus oder Antirassismus. Immer wieder lautet dann das Urteil: Israel sei imperialistisch, durch und durch rassistisch und betreibe eine koloniale Expansionspolitik. In dieser dichotomen Sichtweise werden viele Aspekte oft nicht thematisiert, etwa die Geschichte der Staatsgründung des Landes oder der Antisemitismus von Teilen der palästinensischen Gesellschaft. In manchen Fällen überschreitet die politisch motivierte Kritik die Grenze zum Antisemitismus. Dies ist gerade in Deutschland relevant: Nach dem Zweiten Weltkrieg war offene Judenfeindschaft zwar tabuisiert, aber die Kritik an Israel bot eine Möglichkeit, antisemitischen Einstellungen eine vermeintlich politisch legitime Form zu geben.

Ein aktuelles Thema

Die Kritik an israelischer Politik ist auch das zentrale Thema gegenwärtiger Antisemitismusdebatten in linken Bewegungen, die oftmals hitzig geführt werden. So ist aktuell die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung (BDS) in vielen Städten aktiv, welche den Boykott israelischer Waren – und teilweise auch der Zusammenarbeit mit israelischen Künstlern/innen oder Akademikern/innen – fordert.

Insbesondere jüdische Aktivisten/innen haben in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart, immer wieder darauf hingewiesen, wie notwendig es für linke soziale Bewegungen ist, in diesen Debatten auch den möglichen eigenen Antisemitismus zu hinterfragen.

 

Dr. Sina Arnold ist wissenschaftl. Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin und Mitglied am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der HU Berlin

Zum Weiterlesen

AK „Stalin hat uns das Herz gebrochen“ der Naturfreundejugend Berlin: Stalin hat uns das Herz gebrochen. Antisemitismus in der DDR und die Verfolgung jüdischer Kommunist*innen. Münster 2017.

Sina Arnold: Das unsichtbare Vorurteil. Antisemitismusdiskurse in der US-amerikanischen Linken nach 9/11. Hamburg 2016.

Matthias Brosch u.a. (Hg.): Exklusive Solidarität. Linker Antisemitismus in Deutschland. Vom Idealismus zur Antiglobalisierungsbewegung. Berlin 2007.

Thomas Haury: Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR. Hamburg 2002.

Olaf Kistenmacher: Klassenkämpfer wider Willen. Die KPD und der Antisemitismus in der Weimarer Republik. In: Jungle World 28/2011. Online

Peter Ullrich: Linke, Nahostkonflikt, Antisemitismus. Wegweiser durch eine Debatte. Eine kommentierte Bibliografie. 3. Aufl. Berlin 2014. PDF

 

 

Bildnachweis: Kristopher Roller / unsplash.com

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