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Bildanalyse zu antisemitischen Chiffren

Antisemitismus und Finanzkrise

Antisemitismus wird oft nicht direkt, sondern über Codes und Chiffren geäußert. Anhand einer antisemitischen Grafik werden die Teilnehmenden auf die Existenz solcher Chiffren aufmerksam und analysieren beispielhaft die Grundzüge antisemitischer Verschwörungstheorien. Abschließend gehen sie der Frage nach, worin im Kontext der Erklärung wirtschaftlicher Krisen die Attraktivität der absurden Vorstellung vom ‚jüdischen Strippenzieher‘ liegen könnte.

Allgemeine Informationen

Konzeptioneller Zugang

Dass Juden und Jüdinnen die Verantwortung für wirtschaftliche Fehlentwicklungen zugeschrieben wird, gehört zu den klassischen Motiven des modernen Antisemitismus. Die im Rahmen einer gemeinsamen Bildanalyse behandelte Grafik zeigt mustergültig, wie antisemitische Verschwörungstheorien zur scheinbaren Erklärung komplexer wirtschaftlicher Krisenprozesse herangezogen werden. Die Teilnehmenden lernen antisemitische Inhalte auch dann zu erkennen, wenn sie verklausuliert transportiert werden.

Lernziele

Die TN sind für die Existenz von antisemitischen Verschwörungstheorien sensibilisiert und können diese am konkreten Beispiel identifizieren. Sie wissen, dass die Zuschreibung von Macht und Einfluss ein zentraler Bestandteil des modernen Antisemitismus ist. Sie können erklären, worin die Attraktivität von Verschwörungstheorien besteht.

Empfehlung

Als Vertiefungsmodul erfordert die vorliegende Methode gründliche Vorarbeit und spezifische Sensibilitäten in Bezug auf den Themenkomplex Verschwörungstheorien und Antisemitismus. Diese können zum Beispiel durch die vorherige Durchführung der beiden Methoden „Die Lombarden-Verschwörung“ und „Reichtum und Macht? – Das Gerücht über ‚die Juden‘“ erworben werden.

Material

Material-Download, Beamer / Smartboard

Zeit

20 Min

 

Bildanalyse

Übung (15 Min)

Die TN sitzen im Stuhlkreis und mit freiem Sichtfeld vor einer (Lein-)Wand oder einem Smartboard, worauf ein Bild projiziert werden kann. Die anschließende Bildanalyse nehmen alle gemeinsam in einem moderierten Gespräch vor.

Zunächst jedoch kündigen die Teamenden an, dass im Folgenden mit einer problematischen Bilddarstellung gearbeitet wird und erläutern kurz deren Kontext. Dazu umreißen sie in groben Zügen den Hintergrund und die Herkunft der Grafik, die im nachstehenden Hinweis geschildert sind. Erst danach werfen die Teamenden das Bild (siehe Material) an die Wand.

 

Hinweis: Die Grafik entstammt einem Schulbuch des Klett-Verlags („Anstöße 2. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Bundesweite Ausgabe“) aus dem Jahr 2012, das in mehreren Bundesländern jahrelang für den Unterricht genutzt wurde. Erst 2017 wurde die Verwendung der Grafik öffentlich thematisiert und scharf kritisiert, weil sie mit dem wenig auffälligen Hinweis auf eine fiktive „Rothschildbank“ eine antisemitische Chiffre benutzt. Der Verlag stoppte die Auslieferung des Buches und bot für die im Umlauf befindlichen Exemplare Ersatzseiten an. Der US-amerikanische Zeichner David Dees, der Urheber der Grafik ist, versteht sich als politischer Aktivist: Eine Vielzahl seiner Werke transportiert antisemitische und verschwörungstheoretische Inhalte.

Innerhalb des Schulbuchs dient die Grafik als Illustration zur Thematisierung der sogenannten „Eurokrise“. Als solche wird eine im Jahr 2010 beginnende vielschichtige Wirtschaftskrise bezeichnet, die etliche Länder der Eurozone betraf. Der Euro war ein zentraler Katalysator der Krise, denn die Existenz einer gemeinsamen europäischen Währung schmälerte den wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum der betroffenen Staaten. Im Zuge der Eurokrise erhielt die Kritik an einer gemeinsamen europäischen Währung Aufwind.

Beachte: Es ist nicht nötig, die Eurokrise in ihrer ganzen Komplexität zu schildern. Insbesondere bei leistungsschwächeren Lerngruppen reicht es aus zu erklären, dass sich die Grafik mit einer Wirtschaftskrise in Europa beschäftigt.

Die antisemitische Chiffre „Rothschild“ ist weithin geläufig und vermutlich auch vielen TN bekannt. Bitte lesen Sie vorbereitend die entsprechenden Hintergrundinformationen, um auf Nachfragen und Kommentare adäquat reagieren zu können (siehe Material).

Sollten die Licht- und Sichtverhältnisse im Raum für das gemeinsame Betrachten der projizierten Abbildung unvorteilhaft sein, so können Sie die Grafik auch mehrfach ausdrucken und direkt an die TN ausgeben. Sammeln Sie die Bilder nach der Übung wieder ein!

 

Die ausführliche Analyse der Grafik folgt einem Dreischritt aus Beschreibung, Deutung und Einordnung des Dargestellten anhand von Leitfragen.

Im ersten Schritt (Beschreibung) geben die TN zunächst die einzelnen Bildelemente wieder. Dabei beschränken sie sich auf eine möglichst sachliche Schilderung und nehmen noch keine weitere Interpretation vor. Zu sehen ist eine Karte der Europäischen Union. Links davon befindet sich eine gelbe, kreisförmige Figur mit spitzen Zähnen, die an das Spiel „Pac-Man“ erinnert. Durch die Dopplung der Zahnreihe wird eine Schnappbewegung suggeriert. Auf der kreisförmigen Figur sind ein Euro-Zeichen und Sterne abgebildet, wodurch sie auch als symbolische Darstellung einer Euromünze betrachtet werden kann. Hinter der Figur befindet sich ein gelber Schweif, in dem weitere Euro-Zeichen sowie der Schriftzug „Rothschildbank“ zu erkennen sind.

 

Fragen

  • Aus welchen Elementen setzt sich die Grafik zusammen? Welche Figuren, Symbole und Schriftzüge sind zu erkennen?
  • In welchem Verhältnis stehen diese Bildelemente zueinander (z. B. Stellung, Proportionen)?
  • Was tut die Pac-Man-Figur?

 

Im zweiten Schritt (Deutung) erörtern und interpretieren die TN die Symbolik der Grafik. Sie identifizieren den Pac-Man als Bedrohung für die europäischen Länder. Die Grafik zeichnet den Euro als Instrument einer „Rothschildbank“ und suggeriert, dass er zur Unterwerfung Europas eingesetzt werde. Angesichts der Entstehung der Grafik im Kontext der Eurokrise lässt sich zudem feststellen, dass der Zeichner diese „Rothschildbank“ als Verursacherin oder Profiteurin der Krise fantasiert. Auch folgende vereinfachte Interpretation ist möglich: Die Grafik unterstellt, dass diese Bank mit ihrem Geld Europa schadet.

 

Fragen

  • Welche Bedeutung haben die einzelnen Elemente, Symbole und Handlungen?
  • Welche Rolle spielt der Pac-Man?
  • Was wird durch den Schriftzug „Rothschildbank“ unterstellt?
  • Was will der Zeichner mit dieser Grafik ausdrücken?

 

Im dritten Schritt der Bildbetrachtung (Einordnung) arbeiten die TN den antisemitischen Gehalt der Grafik heraus. Die Anspielung auf ein von einer jüdischen Familie gegründetes Bankhaus bedient die Fantasie von angeblicher ‚jüdischer‘ Geldgier und rücksichtslosen ‚jüdischen‘ Machenschaften. Durch die damit verbundene Zuschreibung nahezu grenzenloser Macht erscheinen Jüd*innen als diejenigen, die eigentlich hinter aktuellen Krisenerscheinungen stehen und mit bösen Absichten im Geheimen die Strippen ziehen. Mit der Realität hat eine solche Vorstellung nicht das Geringste zu tun: Es handelt sich um eine antisemitische Verschwörungsfantasie.

 

Fragen

  • Durch welche Symbolik werden Jüd*innen hier dargestellt?
  • Warum lässt sich die Grafik als judenfeindlich charakterisieren?
  • Inwiefern kann diese Darstellung als Ausdruck einer Verschwörungstheorie gedeutet werden?

 

Im Anschluss an die Bildanalyse halten die Teamenden fest, dass die Vorstellung von einer besonderen Verbindung zwischen Jüd*innen und Geld der bloßen Fantasie entspringt und zugleich eine bösartige Unterstellung ist. Warum trotzdem viele Menschen bereit sind zu glauben, hinter konjunkturellen Zusammenbrüchen wie der Eurokrise steckten eigentlich geheime ‚jüdische‘ Machenschaften, soll nun mit einer abschließenden Gesprächsrunde reflektiert werden.

Dazu projizieren die Teamenden eine Begriffswolke an (Lein-)Wand oder Smartboard (siehe Material). Sie enthält eine Fülle wirtschaftssprachlicher Ausdrücke aus dem Kontext der Eurokrise (nach Wikipedia). Im gemeinsamen Gespräch erörtern die TN zunächst, ob ihnen einzelne der Begriffe bekannt sind. An der Masse und Vielfalt der Begriffe ist sodann zu verdeutlichen, dass die eigentlichen Ursachen der Eurokrise komplex sind und zu ihrem Verständnis umfangreiches Wissen nötig ist. Die zuvor analysierte Grafik hingegen blendet die komplizierten ökonomischen Hintergründe aus. Stattdessen nimmt sie eine primitive (antisemitische) Schuldzuweisung vor und bietet damit eine scheinbar simple Erklärung an. Solche einfachen Antworten auf komplizierte Fragen und schwer verständliche Sachverhalte können attraktiv wirken, weil sie ein Gefühl der Orientierung in einer oft verwirrenden Welt bieten.

 

Fragen

  • Wie viele der Wörter in der Begriffswolke könntet ihr auf Anhieb erklären?
  • Was sagt die Begriffswolke über die Komplexität der realen Krisenursachen aus?
  • Was könnte an der falschen, antisemitischen Darstellung der Krisenursachen attraktiv wirken?

 

Zusammenführung (5 Min)

Die Teamenden fassen die zentralen Ergebnisse und Erkenntnisse nochmals kursorisch zusammen. Dabei heben sie erneut hervor, dass die Vorstellung einer besonderen Affinität von Jüd*innen zu Geld ein zwar weitverbreitetes, aber haltloses antisemitisches Vorurteil ist. Wer jedoch an die falsche Gleichsetzung von Jüd*innen und Geld glaubt, ist auch empfänglich für abenteuerliche Fantasien über ‚jüdische‘ Macht. Denn tatsächlich beeinflussen ja das Geld oder wirtschaftliche Interessen und Profitbestrebungen viele Bereiche unseres Lebens – aber eben nicht ‚die Juden‘.

Um solchen scheinbar einfachen Erklärungen nicht auf den Leim zu gehen, sollte man die ihnen zugrunde liegenden Muster falscher Zuschreibungen erkennen und kritisieren. An ihre Stelle muss die Analyse der tatsächlichen Triebkräfte und Funktionsmechanismen gesellschaftlicher Prozesse gesetzt werden.

Quelle

KIgA e.V. (Hg.): Widerspruchstoleranz 3. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit. Berlin 2019. PDF

 

 

Bildnachweis: Kev Seto / unsplash.com

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