Der Vorurteilskomplex ‚Juden und Geld‘
Reichtum und Macht? – Das Gerücht über ‚die Juden‘
Allgemeine Informationen
Konzeptioneller Zugang
Besonderes Augenmerk legt die Methode auf die Dekonstruktion der vorgeblich faktenbasierten Argumentationsmuster, die hinter dem Vorurteilskomplex vom ‚geldaffinen Juden‘ stehen. Gerade in Bezug auf dieses weitverbreitete Stereotyp haben unserer Erfahrung nach auch Jugendliche bereits verschiedene „Beweisführungen“ verinnerlicht, mit denen die vorgefasste Meinung rationalisiert wird. Nur indem diese offen thematisiert werden, kann ihre scheinbare Plausibilität angegriffen werden. Zu den gängigsten Rationalisierungen des Vorurteils gehört sicherlich seine historische „Begründung“ durch Bezug auf den mittelalterlichen Geldverleih (vgl. dazu den Beitrag „Geldjuden. Die Grundlagen eines universellen Vorurteils vom Mittelalter bis heute“ von Wolfgang Geiger. In: KIgA e.V. (Hrsg.): Widerspruchstoleranz 3. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit. Berlin, S. 16–24). In der Methode ist daher auch eine Irritation gerade dieses Argumentationsmusters angelegt.
Lernziele
Die TN erkennen den antisemitischen Gehalt der Fantasievorstellung von einer besonderen Verbindung von Jüd*innen mit Geld, Reichtum und Macht. Sie identifizieren die Aussage „Jüd*innen sind reich“ als Vorurteil und können sich damit argumentativ auseinandersetzen. Sie sind dabei für irreführende Argumentationsmuster, unzulässige Verallgemeinerungen und kontrafaktische Behauptungen sensibilisiert.
Empfehlung
In dieser Methode werden offen antisemitische Vorurteile thematisiert. Für ihre Bearbeitung ist eine gezielte Vorarbeit und die Bereitschaft zur kritischen Reflexion vonseiten der TN nötig. Wir empfehlen zur Vorbereitung die Methode „Die Lombarden-Verschwörung“. So wird vor der Konfrontation mit antisemitischen Theoremen eine Sensibilisierung für kontrafaktische Argumentationsmuster erreicht.
Material
Material-Download, Beamer/Smartboard, Flipchartpapier, Filzmarker, Scheren, Klebestifte
Zeit
70 Min (10 Min/60 Min)
Schritt 1: Bildanalyse mit Gruppengespräch
Übung (10 Min)
Die TN sitzen im Stuhlkreis mit freier Sicht auf eine (Lein-)Wand oder ein Smartboard, worauf die Teamenden ein Bild mit einem Graffito projizieren (siehe Material). Die gemeinsame Analyse und Interpretation der Abbildung erfolgen in einem moderierten Gespräch.
Bereits einleitend machen die Teamenden deutlich, dass es sich bei diesem Bildbeispiel um eine antisemitische Darstellung handelt.
Die TN sind nun aufgefordert, zunächst die drei Elemente zu benennen, aus denen sich das Graffito zusammensetzt (Davidstern, Gleichheitszeichen, Dollarzeichen). Anschließend wird die symbolische Bedeutung dieser Elemente herausgearbeitet: Der Davidstern ist ein gängiges Symbol für das Judentum. Das Dollarzeichen steht nicht nur für die amerikanische Währung, sondern wird weltweit als Symbol für Geld und Reichtum verwendet. Durch das Gleichheitszeichen werden Judentum und Geld (bzw. Reichtum) in eins gesetzt.
Fragen
- Welche drei Symbole sind hier zu sehen?
- Wofür steht der Davidstern?
- Wofür steht das Dollarzeichen?
- Was bedeutet in diesem Zusammenhang das Gleichheitszeichen?
Nachdem die einzelnen Bildelemente beschrieben und ihr Sinngehalt analysiert sind, erfolgt die gemeinsame Interpretation des Dargestellten: Das Graffito behauptet, es gebe eine besondere Verbindung zwischen Judentum und Geld. Darin spiegelt sich das antisemitische Vorurteil „Jüd*innen sind reich“ wider.
Fragen
- Was will der/die Zeichner*in mit dem Graffito aussagen?
- Warum ist diese Aussage antisemitisch?
An dieser Stelle betonen die Teamenden, dass die angebliche Affinität von Jüd*innen zu Geld eine haltlose Behauptung ist. Trotzdem glauben sehr viele Menschen, dieses Vorurteil sei wahr. Dies weist zugleich darauf hin, dass antisemitische Vorstellungen in unserer Gesellschaft weitverbreitet sind. Dabei gilt: Unabhängig davon, ob man bestimmte Vorurteile nun als besonders schlimm und bösartig bewertet oder sie für eher harmlos oder gar wohlmeinend hält, bleiben sie nicht folgenlos. Denn jedes Vorurteil schreibt Menschen auf eine bestimmte Rolle fest und nimmt ihnen dadurch die Möglichkeit zur freien Entfaltung. Auch hinter vermeintlich gutartigen Vorurteilen verbergen sich oft negative Zuschreibungen.
Sodann führen die Teamenden aus, dass das abgebildete Graffito eine Botschaft vermittelt, die nicht nur falsch, sondern auch boshaft ist. Im gemeinsamen Gespräch wenden sich die TN nun der Frage zu, warum die behauptete Verbindung von Jüd*innen mit Geld und Reichtum zugleich eine perfide Unterstellung von Macht und Kontrolle ist.
Dazu erarbeiten und diskutieren sie zunächst den tatsächlich vorhandenen engen gesellschaftlichen Zusammenhang von Geld/Reichtum und Macht. Danach problematisieren sie erneut die falsche Gleichsetzung von Judentum und Geld. Dabei sollte deutlich werden, dass die Bilddarstellung eben nicht allein auf abenteuerlichen Mutmaßungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse von Jüd*innen beruht. Vielmehr verweist sie zugleich auf etwas „Größeres“, nämlich auf Fantasien über Macht und Kontrolle, wie sie uns auch in Verschwörungstheorien begegnen. Deshalb kann das Graffito ebenso als eine Warnung vor einem vermeintlichen ‚jüdischen‘ Einfluss und Herrschaftsstreben gelesen werden.
Fragen
- Geld und Reichtum werden häufig mit Macht in Verbindung gebracht. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Geld und Macht?
- Kennt ihr das Sprichwort „Geld regiert die Welt“? Was sagt dieses Sprichwort über Reichtum aus?
- Wenn der/die Zeichner*in suggeriert, Jüd*innen seien reich, welche weitere Botschaft wird damit dann vermittelt?
Hinweis: Sofern mit der zur Vorarbeit empfohlenen Methode „Die Lombarden-Verschwörung“ gearbeitet wurde, bietet sich an, im gesamten Schritt 1 fortlaufend Rückbezüge auf die dort entwickelten Verschwörungstheorien bzw. die an ihnen erarbeiteten Ergebnisse vorzunehmen. Nicht nur wird den TN bereits der Mechanismus vertraut sein, einer kleinen Gruppe von Menschen die Macht zur Kontrolle des Weltgeschehens zuzuschreiben, auch Geld wird in den von ihnen konstruierten Verschwörungen schon eine große Rolle gespielt haben. So wird nachvollziehbarer, dass Fantasien von Macht und Geld häufig miteinander verflochten sind und die antisemitische Behauptung „Jüd*innen sind reich“ nicht nur als alleinstehendes Vorurteil existiert, sondern auch Baustein einer antisemitischen Verschwörungstheorie sein kann.
Schritt 2: Thementische mit Gruppenarbeit
Übung (15 Min)
Vier Tische mit ausreichender Anzahl an Stühlen werden im Raum verteilt aufgestellt. Auf jedem Tisch liegen ein Flipchartpapier, Filzmarker und eine auf dem Plakat fixierte Aussage (siehe Material).
Bevor die eigentliche Übung beginnt, weisen die Teamenden noch einmal sehr deutlich darauf hin, dass die ausliegenden Aussagen antisemitischen Inhalts sind. Dabei stellen sie erneut klar, dass die Vorstellung einer besonderen Verbindung von Jüd*innen mit Geld ein bloßes Vorurteil ist, das aber weitverbreitet ist. Denn immer wieder wird behauptet, Jüd*innen seien reich, sie kontrollierten die Banken, seien stets auf finanziellen Vorteil bedacht oder hätten überhaupt eine besondere Begabung für Geschäfte. In der Übung werden die hinter diesen Gerüchten und falschen Behauptungen stehenden Argumentationsmuster einer kritischen Untersuchung unterzogen.
Die TN werden jetzt in vier Arbeitsgruppen eingeteilt, die sich je einem der Tische zuordnen. Sie haben nun etwa drei Minuten Zeit, sich mit der jeweiligen Aussage zu beschäftigen und mögliche Gegenargumente zu finden, die sie auf dem Plakat notieren. Gegebenenfalls können sie auch Fragen formulieren und aufschreiben. Den entsprechenden Arbeitsauftrag 1 schreiben die Teamenden für alle gut sichtbar an die Tafel oder projizieren ihn an (Lein) Wand bzw. Smartboard (siehe Material).
Nach Ablauf der Zeit wechseln die Gruppen den Tisch. Dieser Vorgang wird so lange wiederholt, bis alle Gruppen jeden Tisch besucht haben.
Aussagen
- „Im Mittelalter gab es jüdische Geldverleiher*innen. Deshalb sind Jüd*innen heute reich.“
- „Die Rothschilds waren im 19. Jahrhundert eine einflussreiche jüdische Bankiersfamilie. Das ist der Beweis dafür, dass Jüd*innen die Banken kontrollieren.“
- „Jüd*innen müssen keine Steuern zahlen. Da sieht man, wie sie sich überall finanzielle Vorteile verschaffen.“
- „So viele Leute sagen, dass Jüd*innen gute Geschäftsleute sind. Da muss doch etwas Wahres dran sein.“
Arbeitsauftrag 1
- Notiere auf dem Plakat die Gegenargumente, die dir zu der Aussage einfallen. Wo dir die nötigen Hintergrundinformationen fehlen, kannst du auch Fragen aufschreiben.
Gruppenarbeit (20 Min)
Alle Arbeitsgruppen bleiben an dem Thementisch sitzen, an dem sie zuletzt gearbeitet haben. Jede Gruppe erhält mehrere Exemplare eines Arbeitsblatts mit einem Hintergrundtext zu ‚ihrer‘ Aussage (siehe Material). Aufgabe ist es, den Text ausführlich zu lesen und sich den Inhalt zu erschließen. Im Anschluss werden die im Text enthaltenen Informationen und Argumente mit denjenigen auf dem Plakat verglichen und Ergänzungen vorgenommen. Eventuell können auf dem Plakat notierte Fragen mithilfe der neu gewonnenen Informationen beantwortet werden. Falsche Aussagen und Argumente sind gegebenenfalls zu korrigieren oder zu streichen. Der entsprechende Arbeitsauftrag 2 wird an Tafel, (Lein-) Wand oder Smartboard visualisiert (siehe Material).
Arbeitsauftrag 2
- Welche Hintergrundinformationen in Bezug auf die Aussage könnt ihr dem Text entnehmen? Ergänzt das Plakat mit Gegeninformationen und Gegenargumenten. Korrigiert gegebenenfalls falsche Aussagen und Argumente, die sich auf dem Plakat finden.
Hinweis: Es ist nicht auszuschließen, dass in der vorangegangenen Arbeitsphase (wechselnde Thementische) offen antisemitische Kommentare oder gut gemeinte, aber latent antisemitische „Gegenargumente“ auf die Plakate geschrieben wurden. Die Teamenden sollten sich bereits einen Überblick über die Plakate verschafft haben. In der aktuellen Arbeitsphase (Gruppenarbeit) machen die Teamenden die einzelnen Arbeitsgruppen auf solche Kommentare aufmerksam und fordern sie zu einer kritischen Reaktion auf.
Nach etwa 15 Minuten Bearbeitungszeit erhält jede Gruppe Schere und Klebestift sowie vier Sprechblasen, die jeweils einen zentralen Kritikpunkt an postfaktischen Argumentationsmustern formulieren (siehe Material):
- „Einzelfälle bestätigen keine Regel!“
- „Hier tauchen überhaupt keine Fakten auf!“
- „Gerüchte sind kein Argument!“
- „Hier werden wichtige Fakten verschwiegen!“
Alle Gruppen sollen nun für ihren Fall entscheiden, welche Sprechblase besonders gut die Argumentationsfehler bzw. den willkürlichen Umgang mit Fakten in der ihnen vorliegenden Aussage beschreibt. Auch hier wird der Arbeitsauftrag 3 für alle gut sichtbar visualisiert (siehe Material).
Arbeitsauftrag 3
- Welche Sprechblase kritisiert besonders gut, wie in der Aussage argumentiert bzw. mit Fakten umgegangen wird? Diskutiert diese Frage in eurer Gruppe und entscheidet euch für eine Sprechblase. Klebt die entsprechende Sprechblase auf das Plakat.
Präsentation (20 Min)
Im Stuhlkreis stellen sich die Arbeitsgruppen nacheinander ihre Ergebnisse vor. Anhand ihrer Plakate präsentieren sie zentrale Gegeninformationen und Gegenargumente zur jeweiligen antisemitischen Aussage. Sie nutzen den Hintergrundtext auf ihrem Arbeitsblatt, um Fragen der anderen Gruppen zu beantworten. Die Teamenden stehen bei Rückfragen zur Verfügung und können, wenn nötig, Ergänzungen vornehmen. Sollten sich auf dem Plakat noch unkommentierte problematische Anmerkungen finden, bitten die Teamenden die Gesamtgruppe um kritische Stellungnahme. Nötigenfalls nehmen die Teamenden selbst Richtigstellungen vor.
Zusammenführung (5 Min)
In einem abschließenden Gespräch tragen Teamende und TN die Ergebnisse von Bildanalyse und Argumentationsübung zusammen. Gemeinsam halten sie fest, dass Vorstellungen über eine angebliche Verbindung von Jüd*innen mit Geld, Reichtum und Macht weitverbreitet sind, aber auf purer Fantasie beruhen. Zur Begründung solcher Vorurteile werden häufig „Argumente“ herangezogen, die auf den ersten Blick sogar plausibel erscheinen können. Bei näherem Hinsehen lässt sich aber feststellen, dass sie auf falschen Folgerungen, unzulässigen Verallgemeinerungen sowie vereinseitigenden oder kontrafaktischen Behauptungen basieren.
Die Teamenden sollten aufzeigen, dass die Vorstellung einer besonderen Verbindung von Jüd*innen mit Geld und Reichtum nicht bloß eine harmlose Fehlannahme ist. Weil diese Zuschreibung eng mit der Unterstellung von Macht und Kontrolle verknüpft ist, ist sie Teil einer antisemitischen Verschwörungstheorie, in der Jüd*innen als gefährlich und bedrohlich erscheinen. Wer aber für die Unhaltbarkeit der dahinterstehenden „Beweisführungen“ sensibilisiert ist und sich die Bösartigkeit solcher Behauptungen bewusst macht, ist auch eher in der Lage, das Vorurteil zu erkennen und zu kritisieren.
Quelle
KIgA e.V. (Hg.): Widerspruchstoleranz 3. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit. Berlin 2019. PDF
Bildnachweis: Oleg Laptev / unsplash.com