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Von religiöser Konkurrenz zur Verfolgung qua Herkunft

Judenfeindschaft in der Antike und im Mittelalter

Die Wurzeln des Antisemitismus lassen sich in der Konkurrenz zwischen frühem Christentum und Judentum finden. Der verhängnisvollste Vorwurf ist der, ‚die Juden‘ seien verantwortlich für die Kreuzigung Christi und ‚Gottesmörder‘. Mit der Christianisierung Europas verbreiten sich judenfeindliche Vorurteile und Stereotype. Im Laufe des Mittelalters werden sie weiter angereichert und ergänzt, bis es ab dem 13. Jahrhundert zu Verfolgungen und Austreibungen kommt. Antijüdische Feindschaft bezieht sich nun nicht mehr auf die Religion, sondern auf die Herkunft.

Die Altertumsforschung ist sich uneins über die Ursachen vorchristlicher, antijüdischer Haltungen. Einige erklären sie mit der umstrittenen These, dass für die damals verbreiteten Glaubensvorstellungen an eine Vielzahl von Göttern, der jüdische Glaube an den einen Gott eine Provokation darstellte. Quellen, die Haltungen und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden beschreiben, finden sich vermehrt für die Zeit nach der Zerstörung des jüdischen Tempels in Jerusalem im Jahr 70 unserer Zeitrechnung (u. Z.) und der anschließenden Zerstreuung der Jüdinnen und Juden über das Römische Reich. Bereits der römisch-jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus (ca. 37/38 - ca. 100 u. Z.) berichtet von antijüdischen Stereotypen. Die verfügbaren antiken Quellen beschreiben allerdings kein einheitliches Bild der Wahrnehmung von Judentum und jüdischen Menschen. Neben negativen Äußerungen finden sich auch positive Beschreibungen, teilweise von ein und demselben Autor. Von einer weit verbreiteten, grundsätzlichen Abwertung oder Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden kann in der vorchristlichen Antike nicht die Rede sein.

Ursprünge des christlichen Antijudaismus

Der heutige Antisemitismus hat seine geistigen Wurzeln in den religiösen Vorurteilen und Stereotypen der traditionellen Ablehnung des Judentums durch das Christentum. Die Konkurrenz zwischen den Anhängern/innen von Jesus und den Jüdinnen und Juden begann zunächst als innerjüdischer Streit. Auskunft darüber geben biblische Texte, allen voran das Neue Testament. Aus wissenschaftlicher Perspektive handelt es sich bei diesen Überlieferungen nicht um eine authentische Quelle realer Ereignisse, sondern um einen mythischen Glaubenstext. Der mögliche historische Kern dieser Erzählungen lässt sich somit nicht belegen.

Die ersten Christen/innen knüpften in der Begründung ihres Glaubens noch an die religiöse Überlieferung und an die Heiligen Schriften des Judentums an. Die Vorhersagen aus der hebräischen Bibel übertrugen sie alsbald auf sich und sprachen der jüdischen Ursprungsreligion ihre Daseinsberechtigung ab.

Der antike christliche Antijudaismus zeichnete sich durch eine Reihe von Motiven aus, die den endgültigen Bruch des Christentums mit dem Judentum verdeutlichen sollten. Dazu gehörte etwa die strikte Ablehnung jüdischer Riten, Traditionen und Feste und der Vorwurf, dass Jüdinnen und Juden den nach dem christlichen Glauben von Gott gesandten Jesus Christus nicht als ihren Messias und Erlöser anerkannten. Ihnen wurde deshalb religiöse Blindheit und Verstocktheit vorgeworfen. Der wohl verhängnisvollste Vorwurf christlicher Judenfeindschaft ist der des Gottesmords. Er behauptet, ‚die Juden‘ und nicht der römische Statthalter in Jerusalem wären verantwortlich für die Kreuzigung von Jesus. Mit dieser Schuld begründeten Christen/innen die theologische Verwerfung der Jüdinnen und Juden als auserwähltes Volk Gottes und ihre Ächtung.

Die Spannungen zwischen den ersten Christen/innen und Jüdinnen und Juden wuchsen in den ersten zwei Jahrhunderten. Im Zuge der Verbreitung des Christentums im Römischen Reich und seiner Etablierung als Staatsreligion im Jahr 381 erließen verschiedene Konzile antijüdische Verordnungen, die aus Jüdinnen und Juden zwar eine geduldete, aber eine diskriminierte Minderheit machten. Mit der Christianisierung Europas verbreiteten sich Anschuldigungen gegen Jüdinnen und Juden auch nördlich der Alpen. Zu ersten massiven antijüdischen Gewalttaten im Mittelalter in Zentraleuropa kam es, als im Jahr 1096 christliche Eiferer/innen vom heutigen Frankreich aus zum ersten Kreuzzug zur Eroberung des „Heiligen Landes“ aufbrachen und auf ihrem Weg jüdische Gemeinden überfielen.

Diskriminierung und Stigmatisierung

Zu den biblisch überlieferten Motiven des Antijudaismus kamen in den darauffolgenden Jahrhunderten neue Aspekte und Bilder religiös motivierter Judenfeindschaft hinzu. Die Stereotype und Vorurteile entstanden vor dem Hintergrund sozialer, wirtschaftlicher und religiös-kultureller Veränderungen der christlich-mittelalterlichen Gesellschaft. Je nach Kontext nahm der Antijudaismus unterschiedliche Formen (z.B. Beschuldigungen, Beschimpfungen, Gewalt) an und wurde von verschiedenen Akteuren/innen der Bevölkerung, von bäuerlichen Schichten, über weltliche Obrigkeiten bis hin zu Teilen des Klerus, getragen. Besonders in Zeiten religiöser Verunsicherungen und innerkirchlicher Konflikte, führte die Anprangerung und Verfolgung abweichender Glaubensvorstellungen zu Angriffen auf Jüdinnen und Juden.

In den mittelalterlichen Gesellschaften sollten Jüdinnen und Juden zwar ausgegrenzt, aber nicht vernichtet werden. So lange sie nicht konvertierten, galten sie als Gegner/innen des Christentums. In Judengassen und Judenvierteln von der mittelalterlichen Mehrheitsgesellschaft abgesondert, wurden sie durch spezielle Kleiderordnungen (‚Judenhut’) oder durch farbliche Markierungen auf ihrer Kleidung stigmatisiert. Von der Landwirtschaft und dem Handwerk, den wichtigsten Wirtschaftszweigen des Mittelalters, waren sie ebenso ausgeschlossen wie vom geistigen Stand. Das christliche Zinsverbot galt indes nicht für sie. Juden wurden daher in dieser wirtschaftlichen Nische des Geldverleihs, wie auch in manchen anderen Bereichen des Handels, geduldet.

Im Hochmittelalter setzte ein Bevölkerungswachstum ein, das zur Gründung neuer Städte, zur Entwicklung des Fernhandels und zur Verbreitung der Geldwirtschaft führte. Das bis dato bestehende Zinsverbot entfiel mit der Zeit und die Konkurrenz zu christlichen Geldverleihern stieg. Nachdem Juden von der Kirche erst in den verpönten Geldhandel abgedrängt worden waren, wurde ihnen nun der Vorwurf gemacht Händler und Wucherer zu sein. Dieses antijüdische Motiv hält sich seitdem besonders hartnäckig.

Zum Arsenal religiöser Judenfeindschaft kamen Anfang des 12. Jahrhunderts neue Motive hinzu. Ausgehend vom Dogma der römisch-katholischen Kirche, dass Brot (Hostie) und Wein sich während des Abendmahls in den Leib und in das Blut Jesu Christi verwandeln, kam es zum Prozess einer gedanklichen Übertragung. Jüdinnen und Juden wurden nun beschuldigt ihrerseits Blut für religiöse Zwecke zu gebrauchen, obwohl der jüdische Glaube die Verwendung von Blut strikt verbietet. Daraus entwickelte sich in der christlichen Welt die Legenden der Hostienschändung und besonders die des Ritualmords, der zufolge Jüdinnen und Juden christliche Kinder entführen und töten würden, um deren Blut für rituelle Zwecke zu verwenden. Erstmals im Jahr 1144 in England dokumentiert, verbreitete sich dieses Gerücht auf dem gesamten europäischen Festland. Mit der Zeit kam der Vorwurf der Verschwörung hinzu, der behauptete, hochrangige Vertreter der jüdischen Gemeinden würden sich regelmäßig an einem geheimen Ort treffen um Christus zu verhöhnen und die Herrschaft über die gesamte Welt zu erlangen.

Ablösung der Judenfeindschaft vom christlichen Antijudaismus

Gegen Ende des Mittelalters wurde der religiöse Antijudaismus durch weitere Elemente der Volksfrömmigkeit und des Aberglaubens ergänzt. Mitte des 14. Jahrhunderts kam es insbesondere im heutigen Deutschland und in der Schweiz zu grausamen Überfällen und zur Auslöschung ganzer jüdischer Gemeinden, da Jüdinnen und Juden vorgeworfen wurde, durch Vergiftung der Brunnen die Pestseuche ausgelöst zu haben. Vom 13. bis Ende des 15. Jahrhunderts wurden sie aus nahezu ganz Westeuropa vertrieben. Auch in Mitteleuropa waren sie vor Verfolgungen und Austreibungen nicht sicher. Bis in das 16. Jahrhundert hinein wurden sie so aus den meisten wichtigen Städten und Ländern des Heiligen Römischen Reichs verjagt.

Für den Wandel der mittelalterlichen Judenfeindschaft steht die Ausbreitung des Schmähbildes der „Judensau“, das Juden im intimen Kontakt mit den im Judentum als unrein geltenden Schweinen zeigt und sie als deren Artverwandte darstellt. Da das Schwein in der christlichen Bildsprache als Symbol für den Teufel stand, werden mit diesem Bild im Spätmittelalter Juden umfassend dämonisiert. Die antijüdische Feindschaft bezieht sich hier nicht mehr nur auf das Bekenntnis von Jüdinnen und Juden zu ihrer Religion, die sie durch den Übertritt zum Christentum ändern könnten, sondern zielt direkt auf ihre Herkunft.

 

Zum Weiterlesen

Wolfgang Benz: Antisemitismus. Präsenz und Tradition eines Ressentiments. Schwalbach/Ts. 2015.

Werner Bergmann: Geschichte des Antisemitismus. 4. Aufl. München 2010.

Werner Bergmann/Ulrich Wyrwa: Antisemitismus in Zentraleuropa. Darmstadt 2011.

Gideon Botsch: Von der Judenfeindschaft zum Antisemitismus. Ein historischer Überblick. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 28-30 (2014), S. 10-17. Online/PDF

Rainer Kampling: Antijudaismus. In: Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 3. Berlin 2010, S. 10-13.

Rainer Kampling: Antike Judenfeindschaft. In: Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 3. Berlin 2010, S. 14-15.

Julia König: Judenfeindschaft von der Antike bis zur Neuzeit. In: Dossier Antisemitismus. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) 2006. Online

 

 

Bildnachweis: flinkerhand / photocase.de

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