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Wie unsere Wirtschaft funktioniert

Fabriken, Banken, Börsen

Ein Bild der kapitalistischen Wirtschaft, das auf der Dämonisierung der Finanzsphäre und einer personalisierenden Deutung abstrakter ökonomischer Prozesse beruht, bietet Anknüpfungsmomente für Antisemitismus. Dagegen hilft ein Grundverständnis für ökonomische Wirkmechanismen und für die Verflechtungen von Finanz- und Produktionssphäre. Durch die gemeinsame Erarbeitung eines Produktionskreislaufs und eine anschließende Bildanalyse lernen die Teilnehmenden wichtige wirtschaftliche Zusammenhänge kennen und werden zur kritischen Reflexion über „verkürzte“ Wirtschaftskritik angeregt.

Allgemeine Informationen

Konzeptioneller Zugang

Für das antisemitische Weltbild sind zwei Denkfiguren grundlegend: Zum einen werden abstrakte und unverstandene ökonomische Mechanismen in der Figur ‚des Juden‘ personifiziert. Zum anderen wird ein künstlicher Gegensatz zwischen einer „schaffenden“ und einer „raffenden“ Seite des Kapitals konstruiert, zwischen Industrie- und Finanzkapital, wobei Letzteres als jüdisch fantasiert wird. Beide Denkfiguren sind auch ohne antisemitische Wendung in einer Fülle von Bildern präsent, die die kapitalistische Wirtschaftsstruktur zu erklären versuchen. Dies ist dort der Fall, wo nicht gesellschaftliche Verhältnisse, sondern „gierige“ Manager*innen oder Banken und Börsen als eigentliche Wurzel wirtschaftlicher Fehlentwicklungen ausgemacht werden. Je ausgeprägter diese Bilder sind, desto mehr Anschlussmöglichkeiten für antisemitische Weltdeutungen weisen sie auf. Eine präventive Arbeit gegen Antisemitismus muss daher diese dem Antisemitismus zugrunde liegenden Denkfiguren aufgreifen und dekonstruieren. Ein besseres Verständnis für die tatsächlichen Funktionsweisen der kapitalistischen Wirtschaft kann im Umkehrschluss dabei helfen, einer antisemitischen Weltdeutung die Grundlage zu entziehen.

Lernziele

Die TN besitzen grundlegende Kenntnisse über die Funktionsweisen von Produktions- und Finanzsphäre in der kapitalistischen Ökonomie sowie über deren wechselseitige Abhängigkeiten. Sie wissen, dass in beiden Sphären gleichermaßen profitorientiert gehandelt und auf zukünftige Gewinne spekuliert wird. Sie durchschauen die Problematik von Denkfiguren, die zwischen einem „guten“, „produktiven“ Kapital und einem „bösen“, „ausbeuterischen“ Finanzkapital unterscheiden und sind in der Lage, einseitige Dämonisierungen der Finanzsphäre kritisch zu reflektieren.

Empfehlung

Zur Vorbereitung empfehlen wir mit der Methode Die verbrannte Leiche von Ocarina Island zu arbeiten.

Material

Material-Download, Beamer/Smartboard, Tafel/Pinnwände

Zeit

105 Min (25 Min/ 35 Min/ 45 Min)

 

Schritt 1: Gemeinsames Erstellen eines Schaubildes

Übung (25 Min)

Die TN sitzen im Stuhlkreis mit freiem Sichtfeld auf eine Tafel oder große Pinnwand. Die Teamenden teilen zwölf laminierte Blätter aus, die jeweils beidseitig farbig bedruckt sind: Auf der Vorderseite steht ein Begriff mit Bild, auf der Rückseite eine kurze Erklärung. Je zwei bis drei TN teilen sich ein Blatt. Diese Begriffsblätter bilden die Grundlage für den nun gemeinsam zu erstellenden Produktionskreislauf (Schaubild 1) (siehe Material).

Für die folgende Visualisierung des Schaubildes an Tafel oder Pinnwand steht den Teamenden ein weiteres, nur einseitig bedrucktes Set zur Verfügung siehe Material). Diese zwölf Schaubildblätter hängen die Teamenden zunächst unsortiert und für alle gut sichtbar an eine Tafel oder Wand. Die zuvor an die TN verteilten Blätter verbleiben bis zum Ende der Übung bei den jeweiligen Kleingruppen.

Die TN haben nun einige Minuten Zeit, sich in ihren Kleingruppen über den Begriff auf ihrem Blatt und seine Erklärung auszutauschen. Anschließend soll jede Gruppe den anderen TN kurz erläutern, was der ihnen zugeteilte Begriff bedeutet.

Sind alle Begriffe vorgestellt und erklärt, beginnen die TN gemeinsam zu überlegen, in welchem Zusammenhang und in welcher Abfolge diese in einem Produktionskreislauf stehen könnten. Dazu setzen die Teamenden zunächst einen Anfangspunkt mit dem Begriffsblatt „Unternehmer*innen“, das sie an Tafel oder Pinnwand hängen. Die entsprechende Gruppe bitten sie, den Begriff nochmals zu erklären und einen weiteren Begriff vorzuschlagen, der diesem logischerweise folgen könnte („Geschäftsidee“).

Hier und im Folgenden wird nun immer nach demselben Muster verfahren: Der Vorschlag einer Gruppe wird mit allen TN gemeinsam diskutiert und der entsprechende Begriff, soweit auch die Teamenden dieser Reihenfolge zustimmen, an Tafel oder Pinnwand festgehalten. Jetzt erklärt die betreffende Gruppe diesen Begriff und macht ihrerseits einen Vorschlag für die weitere Abfolge.  Haben alle Gruppen ihre Begriffe untergebracht, ist der Produktionskreislauf geschlossen und das Schaubild 1 vollendet.

 

Hinweis: Die Erarbeitung des Produktionskreislaufs fällt den TN erfahrungsgemäß recht leicht. Diskussionen ergeben sich allerdings häufig um die richtige Reihenfolge der Begriffe „Arbeitskräfte“ und „Maschinen/Arbeitsmittel“. Für die Übung ist nicht entscheidend, welcher dieser Begriffe zuerst genannt wird, weil beide Varianten möglich sind. Wir empfehlen dennoch, mit den „Arbeitskräften“ zu beginnen und wie folgt zu argumentieren Unternehmen brauchen zunächst spezialisierte Fachkräfte, die in der Lage sind zu entscheiden, welcher Gabelstapler, welche Walze oder welcher Rohstoff sich zur Produktion am besten eignet.

Bei dem Begriff „Arbeitskräfte“ sollte zudem auf den Interessengegensatz zu Unternehmer*innen in der Aushandlung der Lohnfrage verwiesen werden: Während den Unternehmer*innen daran gelegen ist, die Ausgaben für die Löhne möglichst gering zu halten, sind die Arbeitskräfte an höheren Löhnen interessiert.

Dem Begriffsblatt „Markt“ ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen, weil daran der Risikofaktor verdeutlicht wird: Der Markt stellt den Moment im Kreislauf dar, in dem sich zeigt, ob die der Geschäftsidee zugrunde liegende Hoffnung auf Absatz der Produkte tatsächlich aufgeht. Diese Spekulation ist der wesentliche Grund für die Produktion. Die Hoffnung auf Gewinne kann hierbei ebenso enttäuscht werden wie bei der später thematisierten Spekulation auf steigende Aktienkurse (siehe Schritt 3).

Grundsätzlich sollten die Teamenden darauf achten, dass Begriffe, die für die TN möglicherweise zu abstrakt erscheinen, hinreichend erklärt werden. Zum Beispiel sollte der Begriff „Konsument*innen“ dahingehend konkretisiert werden, dass sowohl Arbeitskräfte als auch Unternehmer*innen diese Rolle einnehmen können.

 

Schritt 2: Ergänzung des Schaubildes (mit Bildanalyse)

Geleitetes Gespräch (10 Min)

Nach der gemeinsamen Erstellung des Produktionskreislaufes erarbeiten sich die TN in einem zweiten Schritt die wechselseitige Verflechtung von Produktions- und Finanzsphäre. Dabei wird das bestehende Schaubild Stück für Stück um weitere Elemente ergänzt (Ergänzung Schaubild 1) (siehe Material). Die TN betrachten nun zunächst noch einmal den gemeinsam erstellten Produktionskreislauf. Die Teamenden lenken den Blick auf den Begriff „Unternehmer*innen“: Aus der Abfolge des Kreislaufs geht hervor, dass Unternehmer*innen eine Geschäftsidee entwickeln, für deren Umsetzung sie Kapital benötigen. Die TN sind nun aufgefordert zu überlegen, wie das benötigte Kapital aufgebracht werden kann.

 

Frage

  • Welche Möglichkeiten gibt es für die Unternehmer*innen, an Kapital zu gelangen?

 

Haben sie die Bank als mögliche Geldgeberin benannt, wird der Begriff „Bank“ in der Mitte des bestehenden Schaubilds platziert. Sodann arbeiten Teamende und TN exemplarisch einige Beziehungen zwischen der Bank und dem Produktionskreislauf heraus. Dabei werden zentrale Abläufe von Kreditvergabe und verzinster Rückzahlung nacheinander an einzelnen Akteur*innen aufgezeigt, nämlich an Unternehmer*innen (Investitionskredit), Konsument*innen (Konsument*innen-Kredit) und Arbeitskräften (Sparbuch).

Die jeweiligen Beziehungen zwischen diesen Akteur*innen und der Bank werden in Form von Pfeilen dargestellt und nacheinander in das Schaubild integriert. Grüne Pfeile symbolisieren die Vergabe, rote Pfeile die Rückzahlung der Kredite.

 

Hinweis: Haben Sie im Vorfeld – wie empfohlen – mit der Methode „Die verbrannte Leiche von Ocarina Island“ gearbeitet, so kann bei der einleitenden Frage nach möglichen Kapitalquellen für Unternehmer*innen ein Hinweis auf die dort verhandelte Kriminalgeschichte hilfreich sein („Was hat Martin gemacht, um Geld für die Eröffnung des Hotels zu bekommen?“).

 

Auswertung (10 Min)

Ist die Ergänzung des Produktionskreislaufs um Bank und Kreditverkehr abgeschlossen und damit das Schaubild 1 vervollständigt, wenden sich Teamende und TN den wechselseitigen Abhängigkeiten der Produktions- und Finanzsphäre zu. Um die gegenseitige Angewiesenheit beider Sphären aufeinander zu verdeutlichen, diskutieren die TN hierbei, welche Folgen es haben könnte, wenn einzelne der aufgezeigten Verbindungen ausblieben.

In einer ersten Gesprächsrunde überlegen die TN, zu welchen Konsequenzen der Wegfall von Banken und Investitionskrediten für ein Unternehmen führen würde. Dabei arbeiten sie heraus: Unternehmer*innen hätten kaum noch Zugriff auf Fremdkapital. Dies könnte für einen Großteil der Unternehmen gravierende Folgen haben. Besonders kostenintensive Vorhaben könnten nicht finanziert werden (z. B. der Ausbau eines Schienennetzes bei Eisenbahngesellschaften, die Erforschung neuer Medikamente bei Pharmaunternehmen oder die Expansion in neue Märkte). Auch wäre die Aufrechterhaltung der bestehenden Produktion möglicherweise nicht mehr zu gewährleisten (z. B. wenn das Unternehmen nicht über ausreichendes Eigenkapital verfügt, um Arbeiter, Maschinen und Rohstoffe einzukaufen).

 

Frage

  • Welche Konsequenzen hätte es für ein Unternehmen, wenn es keine Banken mehr gäbe oder Investitionskredite ausblieben?

 

In der zweiten Gesprächsrunde denken die TN darüber nach, welche Folgen für die Bank der Wegfall von Spareinlagen hätte. Im Zuge des Gedankenspiels wird deutlich: Banken sind maßgeblich auch auf die Sparbucheinlagen ihrer Kund*innen angewiesen. Wenn diese Einlagen in größerem Umfang abgezogen würden, hätte die Bank nicht nur weniger Geld für die Kreditvergabe zur Verfügung, sondern könnte – je nachdem, wie viele Kredite die Bank durch die Spareinlagen finanziert hat – auch in ihrer Existenz bedroht sein.

 

Frage

  • Welche Folgen hat es für die Bank, wenn es die Sparbucheinlagen nicht mehr gäbe?

 

Die dritte und letzte Runde des Gesprächs behandelt die Frage nach den Folgen für die Bank, wenn Kreditrückzahlungen oder Zinseinnahmen ausblieben. Hierbei erschließen sich die TN: Dieses Szenario würde die Bank vor existentielle Probleme stellen, da entsprechende Kredite abgeschrieben werden müssten. Des Weiteren ist die Bank im Wesentlichen ein Unternehmen wie jedes andere auch. Um langfristig überleben zu können, muss es Profite erzielen – einerseits, um seine Ausgaben zu decken (Lohn- und Materialkosten), andererseits, um einen Gewinn zu erzielen, der das Weiterbestehen sichert und die Existenz des Unternehmens überhaupt legitimiert.

 

Frage

  • Was bedeutet es für die Bank, wenn Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden könnten bzw. die Bank keine Zinsen für die Kredite bekäme?

 

Zusammenführung (5 Min)

Mit Blick auf die diskutierten Beispiele fassen die Teamenden nochmals zusammen, dass zwischen Produktions- und Finanzsphäre Abhängigkeiten und Wechselwirkungen bestehen, also beide aufeinander angewiesen sind. Darüber hinaus gibt es aber auch strukturelle Gemeinsamkeiten, denn in beiden Sphären handeln Akteur*innen profitorientiert und spekulieren auf Gewinne (was zugleich mit gewissen Risiken verbunden ist). So ist der Zweck von Unternehmen nicht das Wohl der Menschheit, sondern Produkte mit Profit zu verkaufen. Der Zweck von Banken ist nicht, bedürftige Unternehmen mit Kapital zu versorgen, sondern Gewinne zu erzielen. Weil alle Beteiligten den Bedingungen der Konkurrenz unterliegen, müssen sie sich entsprechend anpassen, um ihr ökonomisches Überleben sicherzustellen.

Vor dem Hintergrund von wechselseitiger Abhängigkeit und Strukturanalogien ist es zu kurz gegriffen, zwischen einer den Menschen dienlichen Produktion und einer nur am Profit orientierten Kreditwirtschaft zu unterscheiden. Trotzdem wird Kritik an den ökonomischen Verhältnissen

häufig so formuliert, dass sie sich einseitig gegen das Geld- und Bankensystem, also die Finanzsphäre richtet. Exemplarisch soll das in der folgenden Analyse einer Bilddarstellung aufgezeigt werden.

 

Bildanalyse (10 Min)

Die TN sitzen mit freier Sicht auf (Lein-)Wand oder Smartboard, worauf die Teamenden ein Bild projizieren, das die Abhängigkeit einer Person von Banken und Zinsen unterstellt (siehe Material). Die gemeinsame Bildanalyse wird in einem moderierten Gespräch vorgenommen und folgt einem Dreischritt aus Beschreibung, Deutung und Einordnung des Dargestellten anhand von Leitfragen.

Im ersten Schritt (Beschreibung) werden die TN gebeten, zunächst die einzelnen Bildelemente wiederzugeben. Sie beschränken sich dabei auf eine möglichst sachliche Schilderung, die noch ohne weitere Interpretation auskommt. Auf dem Bild identifizieren sie eine arbeitende Figur, eine Bank und eine Fabrik. Die an die Bank angekettete, unglücklich schauende Figur schaufelt ein unbestimmtes Material auf einen vor der Fabrik liegenden Haufen. Gleichzeitig schaufelt sie Geld, das in Richtung der Bank fliegt. An der Kette ist ein Prozentzeichen angebracht.

 

Fragen

  • Was ist auf dem Bild zu sehen?
  • Welche Gebäude, Figuren und Symbole sind hier abgebildet und in welchem Verhältnis stehen sie zueinander?
  • Welchen Gesichtsausdruck hat die abgebildete Person und was genau tut sie?

 

Im zweiten Schritt (Deutung) überlegen die TN, wofür die einzelnen Elemente des Bildes stehen. Dabei stellen sie Bezüge zum vorher erstellten Schaubild her. In diesem Kontext erkennen sie, dass arbeitende Figur und Fabrik den Produktionskreislauf repräsentieren, während die Bank als Symbol für die Finanzsphäre dient. Die Fußkette versinnbildlicht Kreditschulden und Zinsverpflichtungen, die dazu führen, dass der Ertrag der mühsamen Arbeit (Geld) ausschließlich der Bank zugutekommt.

 

Fragen

  • Wofür stehen die einzelnen Elemente, Symbole und Handlungen in dem Bild?
  • Was symbolisieren die arbeitende Person und die Fabrik, was symbolisiert die Bank?
  • Wofür stehen Fußkette und Prozentzeichen und was soll das in Richtung der Bank geschaufelte Geld darstellen?

 

Im dritten Schritt (Einordnung) versuchen die TN, mögliche Aussagen des Bildes zu erfassen. Sie arbeiten heraus, dass die Abbildung nicht die wechselseitigen Beziehungen zwischen Produktions- und Finanzsphäre widerspiegelt, sondern eine einseitige Abhängigkeit des Menschen von der Geld- und Kreditwirtschaft anprangern will. Symbolisiert wird dies vor allem durch die Kette, die die arbeitende Figur über den Zins an die Bank bindet. Unterstellt wird zudem, dass die Bank von der Arbeit anderer profitiert und ein müheloses Einkommen erzielt. Dem Finanzkapital wird so ein parasitäres Dasein gegenüber dem produktiven Kapital zugeschrieben.

 

Frage

  • Welche Botschaft transportiert das Bild? In welcher Beziehung zueinander stehen darin Produktions- und Finanzsphäre?
  • Welche Aspekte aus dem zuvor erstellten Schaubild fehlen hier?
  • Was soll mit der Fußkette ausgedrückt werden und was mit dem zur Bank geschaufelten Geld?
  • Wie bewertet ihr selbst die Aussage der Abbildung?

 

Hinweis: Die Teamenden sollten sicherstellen, dass die TN begreifen: Indem die analysierte Bilddarstellung Gegensätze ausschließlich zwischen Produktion und Finanzsphäre ausmacht, lässt sie elementare Aspekte einfach außen vor. So übergeht sie zum Beispiel den grundlegenden Interessengegensatz zwischen Unternehmer*innen (geringe Lohnkosten) und Arbeitskräften (hohe Löhne). Stattdessen stellt das Bild als einziges Missverhältnis der komplexen ökonomischen Zusammenhänge die Schuldenfalle und die vermeintliche Ausbeutung durch Kreditgeber*innen heraus. Dies stellt eine einseitige Verdammung und Dämonisierung der Finanzsphäre und ihrer Institutionen dar.

Die in der Bildanalyse problematisierte Sichtweise wird mancherorts auch als „Zinsknechtschaft“ beschrieben – ein Begriff, der nicht zuletzt durch die NS-Propaganda erheblich vorbelastet ist. Die irreführende Unterscheidung zwischen einem „schaffenden“ und einem „raffenden“ Kapital verweist auf ein zentrales Ideologem des Antisemitismus.

Sollten die Licht- und Sichtverhältnisse im Raum für das gemeinsame Betrachten der projizierten Abbildung unvorteilhaft sein, so können Sie das Bild auch mehrfach ausdrucken und direkt an die TN ausgeben. Sammeln Sie die Bilder nach der Übung wieder ein!

 

Schritt 3: Input zu Börse und Kursbildung (mit Bildanalyse)

Geleitetes Gespräch (20 Min)

Für ein tiefergehendes Verständnis der Mechanismen der Finanzmärkte lernen die TN in einem letzten Schritt die zentrale Bedeutung der Börse für die kapitalistische Wirtschaft sowie die Grundlagen der Aktienkursbildung kennen.

Einleitend erinnern die Teamenden daran, dass im vorangegangenen Schritt die Bank als eine mögliche Kapitalgeberin für Unternehmer*innen identifiziert wurde. Die TN sammeln nun Ideen, welche weiteren Kapitalquellen einem Unternehmen zur Verfügung stehen können. Wurde als Antwort die Börse benannt, erhalten die TN Gelegenheit, bereits vorhandenes Wissen zum Thema anzubringen.

 

Frage

  • Welche weiteren Möglichkeiten außer der Bank gibt es für Unternehmer*innen, an Kapital zu gelangen?
  • Was wisst ihr über die Börse und ihre Funktion?

 

Nachdem die TN erstes Vorwissen zusammengetragen haben, geben die Teamenden einen kurzen orientierenden Überblick zu Geschichte und Funktion der Börse, der in etwa diesem Muster folgen kann:

 

„1602 erfolgte die Gründung einer ‚Ostindischen Handels- Kompanie‘. Holländische Kaufleute suchten damals Investor*innen, die ihre riskanten Handelsreisen finanzieren sollten. Investierende konnten Anteile am Unternehmen kaufen und wurden an den Gewinnen beteiligt. Die erste Aktie war geboren. Auch heute bietet die Börse einen Rahmen für Unternehmer*innen, die Gelder für ihre kostenintensiven Vorhaben einsammeln wollen. Dafür geben sie bei ihrem Börsengang über Banken Aktien aus, die Anteile am Unternehmen darstellen. Unterschiedlichste Investor*innen aus aller Welt werden Teilhabende am Unternehmen und haben damit Anspruch auf Gewinnbeteiligungen oder die Hoffnung auf steigende Kurse. Eine Garantie gibt es dafür allerdings nicht.“

 

Um den geschilderten Ablauf des Aktienhandels besser nachvollziehbar zu machen, erstellen die Teamenden jetzt das Schaubild 2 zur Funktion der Börse (siehe Material). Dieses Schaubild visualisieren sie auf einem gesonderten Teil der Tafel oder einer weiteren Pinnwand.

Dabei gehen sie etappenweise vor: Sie platzieren zunächst die Begriffe „Unternehmer*innen“ und „Bank“; mit farbigen Pfeilen machen sie deren Geschäftsbeziehung (Aktien gegen Kapital) deutlich. Als Nächstes platzieren sie die Begriffe „Privatperson“ sowie „andere Unternehmen“ und illustrieren deren Handel mit der Bank (Aktien gegen Gewinnbeteiligung). Abschließend platzieren sie den Begriff „Börse“, an der die Aktien gehandelt werden können.

Sind die groben Abläufe des Aktienhandels in Form des Schaubilds 2 nachvollziehbar aufgezeigt, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Kursbildung an der Börse, um die Mechanismen von Kursschwankungen verständlich zu machen. Dazu zeigen die Teamenden eine digitale Präsentation (siehe Material), die sie an (Lein-) Wand oder Smartboard projizieren.

Anhand dieser erläutern die Teamenden, dass die Unternehmensanteile (Aktien) an der Börse gehandelt werden. Dort treffen sich zwei Parteien: Den Käufer*innen, die von steigenden Gewinnen des Unternehmens ausgehen, stehen Verkäufer*innen gegenüber, die pessimistischer gestimmt sind. Je nachdem, welche der beiden Parteien stärker vertreten ist, steigt oder fällt der Kurs. Dem Kurs einer Aktie ist prinzipiell keine Grenze gesetzt. Welche irrationalen Entwicklungen Aktienkurse nehmen können, zeigen immer wieder auftretende Spekulationsblasen, in denen Aktien innerhalb kürzester Zeit in ungeahnte Höhen schießen, um relativ schnell wieder zusammenzubrechen.

Wie so eine Kursschwankung und das Platzen einer Spekulationsblase aussehen können, demonstrieren die Teamenden durch die exemplarische Abbildung eines Aktienkurses der Intershop AG während der Finanzkrise 2000/2001.

 

Zusammenführung (5 Min)

Die Teamenden fassen nun nochmals zusammen: Mithilfe der zuvor entwickelten Schaubilder ist aufgezeigt worden, welche zentrale Funktion die Börse in der kapitalistischen Wirtschaft einnimmt und wie wichtig sie für Unternehmen ist. Über den Aktienhandel an der Börse (aber auch außerhalb davon) können sich Investor*innen an Unternehmen beteiligen und an deren Gewinnen partizipieren, teilen dabei jedoch auch das mit dem Geschäft verbundene Risiko. Darüber hinaus können Investor*innen ein Unternehmen auch zum Teil oder ganz aufkaufen – und so die Kontrolle über geschäftliche Entscheidungen erlangen. Zu den Strategien der Profitmaximierung kann auch eine Zerschlagung oder Abwicklung des Unternehmens gehören.

 

Hinweis: Die Darstellung der Funktion der Börse und des Kursbildungsmechanismus ist hier grob vereinfacht und wurde im Sinne der Lernziele auf wesentliche Punkte reduziert. Die Teamenden tun gut daran, sich im Vorfeld weit ausführlicher mit der Materie zu beschäftigen, um gegebenenfalls auch spezifischere Fragen beantworten zu können. Die Abfrage des Vorwissens der TN zum Thema Börse (vor Erstellung von Schaubild 2) bietet einen Orientierungspunkt, um in der Folge auf bestimmte Fragestellungen und Annahmen der TN gezielter eingehen zu können. Zur eigenen Vorbereitung gibt es für die Teamenden außerdem eine Hintergrundinformation zu Geschichte und Funktion der Börse (siehe Material).

Auch wenn in dieser Übung Antisemitismus nicht explizit thematisiert wird, so sollten sich die Teamenden doch bewusst sein: Die Institution Börse ist stets ein wesentliches Ziel antisemitisch aufgeladener Attacken auf die als ‚jüdisch‘ imaginierte Finanzsphäre. Als Inbegriff des Abstrakten steht sie für Internationalität, Wurzellosigkeit und Profitgier und wird im Gegensatz zur konkreten Arbeit bzw. der Produktionssphäre gedacht. Manchen erscheint das Auf und Ab an der Börse als ursächlich für Krisen; andere verurteilen die Spekulation, weil sie es zu ermöglichen scheint, auf Kosten anderer ein müheloses Einkommen zu erzielen. Nicht jedes verkürzte Verständnis der Finanzsphäre ist zwangsläufig antisemitisch, jedoch gilt: Je undifferenzierter und mystifizierter diese wahrgenommen wird, desto höher sind die Anschlussmöglichkeiten für antisemitische Deutungen.

 

Bildanalyse (15 Min)

Die Teamenden projizieren auf (Lein-)Wand oder Smartboard die Abbildung „Heuschrecken“ (siehe Material). Die gemeinsame Bildanalyse erfolgt wieder in einem moderierten Gespräch und im Dreischritt aus Beschreibung, Deutung und Einordnung.

 

Hinweis: Gegenstand der Bildanalyse ist ein Ausschnitt aus dem Cover des Magazins „Wirtschaftspolitik“ der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (Oktober 2007). Weitere Hintergrundinformationen zur sogenannten „Heuschrecken- Debatte“ finden Teamende in einer Anlage (siehe Material).

 

Im ersten Schritt (Beschreibung) nennen die TN die einzelnen Bildelemente, ohne diese schon ausführlicher zu interpretieren. Sie erkennen einen heranfliegenden Schwarm Heuschrecken und den darüber stehenden Schriftzug „Finanzkapitalismus – Geldgier in Reinkultur!“. Im Zuge dessen sollte auf den Begriff Finanzkapitalismus eingegangen werden, der einen übermäßigen Einfluss der Finanzsphäre postuliert.

 

Frage

  • Wer möchte das Bild beschreiben? Was ist darauf zu erkennen?
  • Was könnte der Begriff „Finanzkapitalismus“ bedeuten?

 

Im zweiten Schritt (Deutung) stellen die TN fest, dass dieHeuschrecken den Finanzkapitalismus symbolisieren sollen und dieser mit rücksichtsloser Geldgier gleichgesetzt wird. Weil große Heuschreckenschwärme immer wieder Ernten und damit die Lebensgrundlage von Menschen vernichten, gelten sie weithin als Symbol einer Plage. Die Darstellung des gewaltigen Schwarms verweist also auf ein äußerst bedrohliches Szenario.

 

Fragen

  • Was sollen die Heuschrecken symbolisieren?
  • Was wisst ihr über Heuschrecken? Welche Eigenschaften haben sie und wofür stehen sie im Allgemeinen?

 

Im dritten Schritt (Einordnung) interpretieren die TN die Abbildung vor dem Hintergrund der zuvor erarbeiteten Inhalte. Sie stellen fest, dass dem Finanzkapital durch dessen Darstellung als Heuschreckenschwarm ein parasitäres Dasein unterstellt wird. Setzt man die Heuschrecken mit Finanzinvestor*innen gleich, so erscheinen diese als raffgierige Schädlinge, die nicht an den Menschen, sondern nur am Profit interessiert sind. Wie ein bedrohlicher Schwarm scheinen sie über produktive Unternehmen und Märkte rücksichtslos herzufallen und diese kahl zu fressen, um dann weiterzuziehen. In der tiefergehenden Bildsprache erscheint also die Finanzsphäre als Ungeziefer, das sich durch die Wirtschaft/Produktion ernährt und sie dabei vernichtet.

 

Fragen

  • Welche Botschaft vermittelt das Bild?
  • Wie werden der Finanzkapitalismus bzw. die Finanzsphäre hier beschrieben, wenn sie durch den Heuschreckenschwarm symbolisiert werden?
  • Für welche Akteur*innen könnten die Heuschrecken stehen und warum?
  • Wenn mit den Heuschrecken Finanzinvestor*innen gemeint sind, welche Eigenschaften werden ihnen durch diese Bebilderung zugesprochen?
  • Wie bewertet ihr die Aussage der Abbildung? Ist so eine Darstellung hinsichtlich der zuvor erarbeiteten Verknüpfung von Produktions- und Finanzsphäre richtig und haltbar?

 

Zusammenführung (5 Min)

Die Teamenden bündeln noch einmal wichtige Erkenntnisse aus der Übung. Sie halten fest, dass zwischen Produktions- und Finanzsphäre vielfältige Beziehungen, Abhängigkeiten und Wechselwirkungen bestehen. Deshalb stellen sie keinen Antagonismus dar, sondern beide sind gegenseitig aufeinander angewiesen. Im kapitalistischen Wirtschaftssystem erfüllen Banken und Börsen notwendige Funktionen.

Aus diesem Grund ist die Unterscheidung zwischen einem produktiven Kapital, das als „gut“ und „nützlich“ erscheint, und einem spekulativen Kapital, das „schlecht“ und „ausbeuterisch“ wirkt, abzulehnen. Die einseitige Dämonisierung der Finanzsphäre übergeht die Tatsache, dass das grundlegende Prinzip des Kapitalismus (auch in der Produktion) eben darin besteht, möglichst maximale Gewinne zu erzielen.

Wer allein einzelne Akteur*innen für – zweifellos vorhandene – negative Auswüchse des Kapitalismus verantwortlich macht, übersieht, dass alle Beteiligten den Bedingungen des Marktes und der Konkurrenz unterliegen. Natürlich kann man das Verhalten Einzelner, ungleiche Reichtumsverteilung und damit verbundene Machtstrukturen kritisieren oder aus ethischen Gründen verurteilen. Eine Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen sollte sich jedoch nicht an vermeintlichen Charaktereigenschaften wie Geldgier, sondern an sachlichen Zusammenhängen orientieren und sich objektiver Interessenlagen bewusst sein.

 

Quelle

KIgA e.V. (Hg.): Widerspruchstoleranz 3. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit. Berlin 2019. PDF

 

 

Bildnachweis: Bill Oxford / unsplash.com

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