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Verschwörungstheorien über ‚die Juden‘

Antisemitische Verschwörungsfantasien

Mittels einer Bildanalyse setzen sich die Teilnehmenden mit zentralen antisemitischen Darstellungs- und Deutungsmustern auseinander. Eine anschließende Textarbeit bietet historische Beispiele und Kontextualisierungen, um das Verständnis von Motiven und Mechanismen des antisemitischen Verschwörungsdenkens zu vertiefen.

Allgemeine Informationen

Konzeptioneller Zugang

Es wäre zu wenig, antisemitische Verschwörungstheorien lediglich mit Fakten dekonstruieren zu wollen. Zielführender ist, typische Merkmale und Motive, Mechanismen und Funktionen der antisemitischen Konstruktion herauszuarbeiten. Die Analyse einer judenfeindlichen Karikatur und historischer Fallbeispiele kann dabei helfen, entsprechende Projektionen begreifbar und auch historisch-politisch verortbar zu machen. Da jede Arbeit mit antisemitischen (Bild-) Darstellungen Gefahr läuft, ungewollt zur Reproduktion und weiteren Popularisierung stigmatisierender Inszenierungen und Erzählungen beizutragen, wurde hier eine Karikatur mit möglichst wenigen rassistischen Attributen ausgewählt. Die Begleitung der Textarbeit setzt bei den Lehrenden einen sicheren Umgang mit der Materie voraus.

Lernziele

Die TN wissen um Struktur, Merkmale und Funktionen von Verschwörungstheorien. Sie sind für die Existenz und Funktionsweisen antisemitischer Verschwörungsfantasien sensibilisiert und verstehen, dass sie an bestehende judenfeindliche Vorurteile und Denkfiguren anknüpfen. Sie sind in der Lage, zentrale Motive und strukturelle Zusammenhänge antisemitischer Verschwörungstheorien zu erkennen.

Material

Material-Download, Beamer/Smartboard, Moderationskarten, Filzmarker

Zeit

90 Min (10 Min/20 Min/60 Min)

 

Schritt 1: Kurzvortrag

Kurzvortrag (10 Min)

Die TN sitzen im Stuhlkreis und mit freiem Sichtfeld vor einer (Lein-) Wand oder einem Smartboard, worauf die kurze Präsentation „Verschwörungstheorien“ projiziert wird (siehe Material). Sie gibt auf sechs Folien einen knappen einführenden Überblick zu Merkmalen, Sinnstruktur und Funktion von Verschwörungstheorien. Die Teamenden sollten in ihrem kurzen Referat auf folgende Komponenten eingehen:

Zu den typischen Merkmalen zählt zunächst die Annahme, es gäbe im Geheimen agierende Mächte, die einen umfassenden Plan verfolgen. Außerdem wird von einer gezielten Täuschung und Manipulation unter Einsatz betrügerischer Mittel ausgegangen. Für die Erreichung der geheimen Ziele werde jeder Schaden an der Allgemeinheit billigend in Kauf genommen.

Weitere strukturelle Gemeinsamkeiten von Verschwörungstheorien bestehen in einem scheinbar geschlossenen Weltbild, dem einseitigen Umgang mit Fakten und Widersprüchen, der Konstruktion von Eigen- und Fremdgruppen sowie der Anknüpfung an bestehende Ressentiments und Vorurteile.

Die besondere Attraktivität und Funktion solcher Theorien besteht unter anderem darin, dass sie unverstandene oder schwer durchschaubare Ereignisse und Zusammenhänge scheinbar erklären und ihnen dadurch Sinn verleihen können. Das Gefühl, das Verborgene durchschaut zu haben und nun zum Kreis der ‚Wissenden’ zu gehören, führt zu einer Aufwertung der eigenen Person und verschafft dem Individuum eine vermeintliche Sicherheit.

 

Schritt 2: Bildanalyse

Bildanalyse (15 Min)

Die Teamenden kündigen die bevorstehende Analyse einer antisemitischen Karikatur an, die in einem moderierten gemeinsamen Gespräch verlaufen soll. Bevor die Karikatur an (Lein-)Wand oder Smartboard projiziert wird, wird der Begriff noch einmal erläutert.

 

Definition: Eine Karikatur (ital. caricare = überladen) ist eine satirisch verzerrte Zeichnung. Karikaturen begegnen uns tagtäglich in den Medien. Sie machen sich in zugespitzter und übertriebener Form über bestimmte Personen, gesellschaftliche Gruppen oder politische Sachverhalte lustig. Ihr Ziel ist es, auf einen konkreten als problematisch empfundenen Umstand aufmerksam zu machen, ihn zu kommentieren und zu kritisieren. In manchen Fällen – so auch in dem vorliegenden – können Karikaturen zudem als ein Instrument gezielter Herabsetzung und Diffamierung bestimmter Personengruppen genutzt werden.

 

Danach projizieren die Teamenden das Bild (siehe Material) an (Lein-) Wand oder Smartboard. Die ausführliche Analyse der Karikatur folgt einem Dreischritt aus Beschreibung, Deutung und Einordnung des Dargestellten anhand von Leitfragen.

 

Hinweis: Sollten im Raum die Licht- und Sichtverhältnisse für das gemeinsame Betrachten der projizierten Abbildung unvorteilhaft sein, so können Sie die Karikatur auch mehrfach ausdrucken und direkt an die TN ausgeben. Sammeln Sie die Bilder nach der Übung wieder ein!

Gegenstand der Bildanalyse ist eine antisemitische Karikatur aus der Feder von Josef Plank (Pseudonym „Seppla“). Der ideologisch gefestigte Karikaturist arbeitete in den 1920er- und 1930er-Jahren für die nationalsozialistische Satirezeitschrift „Die Brennessel“ und das NS-Wochenblatt „Illustrierter Beobachter“. Die um 1938 entstandene Karikatur zeigt einen ‚jüdischen Kraken‘ als Symbol der Weltverschwörung. Sein Gesicht trägt die charakteristischen Züge von Winston Churchill. Der britische Politiker hatte die antisemitische Politik in Deutschland wiederholt verurteilt und stand auch der zionistischen Idee grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Die NS-Propaganda fand in Churchill ein willkommenes Feindbild und diffamierte ihn als Teil einer ‚jüdischen Verschwörung‘.

 

Im ersten Schritt (Beschreibung) geben die TN erst einmal die einzelnen Bildelemente wieder. Dabei beschränken sie sich auf eine möglichst sachliche Schilderung und nehmen noch keine weitere Interpretation vor. Sie erkennen einen überproportionierten, den Erdball fest umklammernden Kraken. Seine Tentakel bohren sich derart in die Weltkugel, dass diese verletzt zu bluten scheint. Das Gesicht des Kraken wirkt abstoßend, mürrisch und unfreundlich. Über oder hinter ihm schwebt ein Davidstern.

 

Fragen

  • Was ist auf der Zeichnung zu sehen?
  • Welche Gegenstände, Figuren oder Symbole sind hier abgebildet, und in welchem Verhältnis stehen diese Bildelemente zueinander (z. B. Stellung, Proportionen)?
  • Wie lässt sich der Gesichtsausdruck des Kraken beschreiben, und was tut er mit seinen Tentakeln?

 

Im zweiten Schritt (Deutung) erörtern und interpretieren die TN die Symbolik der Karikatur. Sie identifizieren den Kraken als Sinnbild für eine bedrohliche, die ganze Welt umklammernde und kontrollierende Macht. Der feste Griff seiner Tentakel und das Blut der Erde stehen für den allumfassenden, gewaltsamen und zerstörerischen Charakter seiner Herrschaft. Das über ihm schwebende Symbol des Judentums markiert den Kraken entweder als jüdisch oder als unter jüdischem Einfluss stehend.

 

Fragen

  • Was will der Zeichner mit dieser Karikatur ausdrücken?
  • Welche Bedeutung haben die einzelnen Elemente, Symbole und Handlungen?
  • Wofür steht der Krake mit seinen Tentakeln, und warum hat der Zeichner ausgerechnet dieses  Tier gewählt?
  • Wie ist der hinter/über dem Kraken schwebende Davidstern zu deuten, und was wird damit unterstellt?

 

Im dritten Schritt der Bildbetrachtung (Einordnung) stellen die TN die Karikatur schließlich in den übergeordneten Zusammenhang irrationalen Verschwörungsdenkens. Sie arbeiten heraus, dass die antisemitische Idee ‚jüdischer‘ Macht und Einflussnahme eine haarsträubend verallgemeinernde und bösartige Unterstellung darstellt.

 

Fragen

  • Was genau wird über Jüdinnen und Juden behauptet?
  • Warum lässt sich diese Zeichnung als judenfeindlich charakterisieren?
  • Woran ist auszumachen, dass es sich hier um eine Verschwörungstheorie handelt, bzw. welche Merkmale einer Verschwörungstheorie sind wiederzuerkennen?

 

Zusammenführung (5 Min)

 

Die Teamenden fassen die zentralen Ergebnisse und Erkenntnisse nochmals zusammen. Spätestens hier klären sie die TN auch darüber auf, dass es sich um eine Karikatur aus der NS-Propaganda handelt.

Die Teamenden machen noch einmal ganz deutlich, dass die Bilddarstellung lediglich eine antisemitische Fantasie widerspiegelt, die sich aus lauter Vorannahmen und Unterstellungen speist. In ihrer Zusammenführung nehmen die Teamenden außerdem Bezug auf den Kurzvortrag (siehe Schritt 1).

 

Schritt 3: Gruppenarbeit

Übung (30 Min)

Die TN finden sich in drei Arbeitsgruppen zusammen. Jede Gruppe erhält einen Text, außerdem Filzmarker und Moderationskarten (pro Gruppe eine Farbe). Die drei Texte behandeln je eine antisemitische Verschwörungstheorie aus der Geschichte der Judenfeindschaft. Die Beispiele umfassen die Themen „Die Ritualmordlegende“, „Die Rothschilds“ und „Die Protokolle der Weisen von Zion“ (siehe Material).

Der Arbeitsauftrag an die Gruppen lautet, die Texte zunächst aufmerksam zu lesen und Verständnisfragen zu klären. (Die Teamenden unterstützen sie dabei.) Danach sollen sie im Text konkrete Vorwürfe und Zuschreibungen gegenüber „den Juden“ identifizieren, die sie auf jeweils einer Moderationskarte notieren. In einem letzten Arbeitsschritt suchen sie schließlich nach Hinweisen und Ideen, wer von der Verschwörungstheorie in welcher Weise profitieren könnte. Ihre Antworten schreiben sie wiederum auf Moderationskarten. – Die Gruppen sollten darauf achten, je Karte nur ein Wort zu notieren und ihre Antworten auf getrennten Stapeln zu sammeln.

 

Fragen

  • Welche konkreten Vorwürfe oder Zuschreibungen gegenüber jüdischen Menschen finden sich in eurem Text?
  • Wer profitiert von dieser Verschwörungstheorie? Wem nutzt sie, und warum?

 

Hinweis: Jede Arbeitsgruppe sollte aus maximal fünf TN bestehen. Bei einer größeren Anzahl von TN bietet es sich an, die Arbeitsaufträge doppelt zu vergeben und mehrere Gruppen parallel zum selben Thema arbeiten zu lassen.

 

Präsentation (25 Min)

Im Stuhlkreis sitzend tragen die Gruppen nun ihre Arbeitsergebnisse zusammen. In die Mitte des Stuhlkreises – und zwar in einigem Abstand zueinander – legen die Teamenden zwei Karten auf den Fußboden, die mit den Worten „Vorwurf“ und „Nutzen“ (siehe Material) beschriftet sind.

Die erste Gruppe beginnt nun mit der Vorstellung ihrer Verschwörungstheorie und der Erläuterung der historischen und gesellschaftlichen Hintergründe. Die Teamenden unterstützen gegebenenfalls durch nötige Ergänzungen oder Klarstellungen, damit Inhalt und Kontext auch wirklich allen deutlich wird. Als Nächstes liest die Arbeitsgruppe ihre Antwortkarten vor, die sie dann auf den Boden legt und sie dort entweder dem „Vorwurf“ oder dem „Nutzen“ zuordnet. Nach diesem Muster präsentieren jetzt nacheinander auch die anderen drei Gruppen ihre Ergebnisse.

 

Zusammenführung (5 Min)

Im Anschluss an die Präsentationen rekapitulieren Teamende und TN noch einmal die gemeinsamen Arbeitsergebnisse aus Bildanalyse und Textarbeit. Die Teamenden heben noch einmal hervor, dass die antisemitischen Fantasien stets auf Unterstellungen von Macht und Einfluss, Partikularinteresse und Eigennutz, Hinterlist und skrupelloser Bösartigkeit basieren. Die in judenfeindlichen (Verschwörungs-)Theorien erscheinenden Bilder können an alte Vorurteile anknüpfen und werden gleichzeitig immer wieder neu verbreitet und somit aktualisiert. Eigene antisemitische Zuschreibungen und Vorbehalte werden scheinbar bestätigt und legitimiert. In Zeiten gesellschaftlicher Krisen und Unsicherheit sind Verschwörungstheorien besonders populär, weil sie dem eigenen Unbehagen eine scheinbare Erklärung entgegenstellen und das eigene Selbst aufwerten. Der jeweilige Kontext des Verschwörungsbildes kann aktuellen Geschehnissen angepasst werden.

Quelle

KIgA e.V. (Hg.): Widerspruchstoleranz 2. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit. Berlin 2017. PDF

 

 

Bildnachweis: Mike Kononov / unsplash.com

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