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Bezüge zur NS-Geschichte

(K)ein Blick zurück?

Die Teilnehmenden reflektieren eigene Beziehungen, Erfahrungen und Haltungen zur Geschichte des Nationalsozialismus. Sie setzen sich kritisch mit der Forderung nach einem „Schlussstrich unter die Vergangenheit“ auseinander und diskutieren die Frage nach kollektiver gesellschaftlicher Verantwortung.

Allgemeine Informationen

Konzeptioneller Zugang

Die historische Erfahrung des Nationalsozialismus bildet einen wichtigen Bezugspunkt unseres politisch-moralischen Selbstverständnisses. Eine gemeinsame Reflexion über dessen Bedeutung und Bewertung in Schule und Medien, Familie und Freundeskreis sowie das gemeinsame Nachdenken über individuelle Zugänge, persönliche Interessen und ethische Konsequenzen sollen die thematische Vertiefung unterstützen. Die Erkenntnis, dass eigene emotionale Verstrickungen sowie diffuse Schuld- und Schamgefühle problematische Vermeidungs- und Abwehrreaktionen hervorrufen können, bestärkt das Individuum in seiner kritischen Betrachtung zum Umgang mit der Vergangenheit.

Lernziele

Die TN sind sich eigener Haltungen und Bezüge zur NS-Vergangenheit bewusst und können sich dazu kritisch positionieren. Sie wissen um die Problematik der Forderung nach einem Schlussstrich und können sie als eine Form der Erinnerungsverweigerung identifizieren. Sie sind für die ethisch-moralische Dimension der Frage nach historischer Verantwortung sensibilisiert.

Material

Material-Download, Beamer/Smartboard, Lautsprecher, Internetverbindung

Zeit

60 Min (20 Min/40 Min)

 

Schritt 1: Positionierungsübung („Vier-Ecken-Übung“)

Übung (20 Min)

Vor Beginn der Übung markieren die Teamenden die vier Ecken des Raumes, die alle frei zugänglich sein müssen. In jeder Ecke hängen sie ein Schild gut sichtbar auf, das den Grad der Zustimmung signalisiert („Stimme zu“ – „Stimme teilweise zu“ – „Stimme nicht zu“ – „Sonstiges“) (siehe Material).

Die Teamenden lesen nun eine der nachstehenden Aussagen vor, zu der sich die TN individuell positionieren: Je nachdem, ob bzw. in welchem Ausmaß sie der Aussage zustimmen, wählen sie eine der Ecken im Raum und stellen sich dorthin. Danach folgt eine kurze offene Fragerunde, in der einzelne TN ihre Positionierung noch einmal begründen und zur Diskussion stellen können.

Diese Prozedur wird mit mindestens drei weiteren Aussagen wiederholt. (Steht den Teamenden mehr Zeit zur Verfügung und möchten sie noch weitere Durchgänge durchführen, so sollten sie möglichst das Tempo erhöhen und die Fragerunden knapp gestalten.)

 

Aussagen

  • „Ich kenne einen oder mehrere Orte, die an die NS-Verbrechen erinnern (Mahnmal, Gedenktafel, Gedenkstätte).“
  • „Ich wünsche mir einen anderen Umgang mit dem Thema Nationalsozialismus in der Schule.“
  • „Ich habe schon mal einen Dokumentar- oder Spielfilm über die NS-Verbrechen gesehen.“
  • „Ich weiß genau, was meine Vorfahren zur Zeit des Nationalsozialismus oder im Zweiten Weltkrieg getan oder erlebt haben.“
  • „Ich habe schon mal an einer Gedenkfeier für NS-Opfer teilgenommen.“
  • „Ich würde gerne mehr über den Holocaust erfahren.“
  • „In meiner Familie sprechen wir manchmal über die Nazizeit.“
  • „Beim Besuch einer KZ-Gedenkstätte sollte man weinen.“
  • „Das Thema Nationalsozialismus langweilt mich.“

 

Zum Abschluss der Übung fassen die Teamenden zusammen, dass die Themen Nationalsozialismus und Holocaust uns im Alltag auf vielfältige Art und Weise begegnen können. Von Person zu Person unterschiedlich ist, welche konkreten Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen man damit verbindet. Verschiedenartig ausgeprägt sind auch unser historisches Interesse und die individuelle Bereitschaft, sich mit den grausamen NS-Verbrechen zu konfrontieren.

Die Teamenden stellen den TN nun die Frage, warum viele Menschen die NS-Geschichte für unser gemeinsames Selbstverständnis als Gesellschaft dennoch als wichtig erachten. In einem kurzen gemeinsamen Brainstorming werden dazu mündlich erste Ideen und Argumente gesammelt. (Eine vertiefende Diskussion zu dieser Frage erfolgt erst an späterer Stelle; siehe Schritt 2.)

 

Hinweis: Seien Sie gegenüber den Begründungen und Empfindungen der TN aufgeschlossen und unterlassen Sie Bewertungen. Respektieren Sie die Eigenpositionierung der TN und vermeiden Sie es, in deren Entscheidung aktiv einzugreifen. Begegnen Sie eventuell problematischen Äußerungen nicht mit ‚Belehrungen‘, sondern öffnen Sie den Raum für Diskussion. Lenken Sie den Blick auf kontroverse Sichtweisen und mögliche Ambivalenzen, ohne Ihre eigene Haltung zu verleugnen. Deutlich grenzüberschreitende Kommentare, die andere Menschen abwerten, diskriminieren oder historische Tatsachen wie den Holocaust in Frage stellen, sind jedoch klar zu unterbinden.

 

Schritt 2: Gruppendiskussion mit Video-Kommentar

Einstieg (10 Min)

Zur Überleitung in eine kritische Auseinandersetzung mit der in der deutschen Bevölkerung weitverbreiteten Forderung nach einem „Schlussstrich unter die Vergangenheit“ diskutieren die TN gemeinsam die nachstehende Aussage. Die entsprechende Aussagekarte (siehe Material) hängen die Teamenden für alle gut sichtbar an die Tafel oder projizieren sie auf (Lein-) Wand oder Smartboard.

 

Aussage

  • „Es muss doch mal damit Schluss sein, den Deutschen immer noch die Verbrechen der Nazis vorzuhalten.“

 

Diese These wird von den TN nun anhand von Leitfragen erörtert. Es ist zu erwarten, dass die Aussage einigen der TN in dieser oder ähnlicher Form bekannt ist, wodurch die weite Verbreitung dieser Einstellung deutlich wird.

 

Fragen

  • Wem ist eine solche Aussage schon einmal begegnet, und wo?
  • Was könnten Gründe dafür sein, sich nicht mehr mit den Verbrechen der Nazis beschäftigen zu wollen?
  • Wer könnte als Urheber der angeblichen Vorhaltungen gemeint sein?

 

In der gemeinsamen Analyse arbeiten Teamende und TN heraus, dass die Konfrontation mit den NS-Verbrechen bei vielen Menschen ein Unbehagen hervorruft. Das ungute Gefühl versuchen manche zu verdrängen, indem sie eine Auseinandersetzung mit dem Thema vermeiden. Die Behauptung, man sehe sich unberechtigten Schuldzuweisungen ausgesetzt, soll die eigene Abwehr der Erinnerung begründen. Wer dem Verdrängen der unbequemen Vergangenheit und ihrer Nachwirkungen entgegenarbeitet oder im Wege steht, läuft schnell Gefahr, als vermeintlicher Urheber der angeblichen Vorwürfe abgestempelt zu werden.

 

Film-Clip und Diskussion (25 Min)

Daran anschließend sehen die TN einen Kommentar von Anja Reschke (NDR) zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in den ARD-Tagesthemen vom 27. Januar 2015 (Dauer 1:53) (siehe Material). Die TV-Journalistin setzt sich darin mit der Forderung nach einen Schlussstrich unter die Geschichte der Judenverfolgung auseinander. Ihr Plädoyer für das Erinnern verbindet sie auch mit einer deutlichen Kritik an den fremdenfeindlichen Positionen der Pegida-Demonstrationen in Dresden.

Nach der Sichtung des Film-Clips resümieren und diskutieren die TN den Kommentar in einem moderierten Gespräch. Gemeinsam überlegen sie, was einer in der Schlussstrichforderung zutage tretenden Abwehr- und Verweigerungshaltung argumentativ entgegengesetzt werden kann. Zum Abschluss der Übung erfolgt dann eine offene Debatte über historische Verantwortung und die Frage nach ethisch-moralischen Lehren aus der Geschichte.

 

Fragen

  • Welche Argumente gegen einen Schlussstrich bringt die Journalistin hervor?
  • Wie bewertet ihr diese Argumentation? Welche Argumente findet ihr überzeugend, welche nicht?
  • Fallen euch weitere Gegenargumente ein?
  • Glaubt ihr, dass uns als Deutschen oder auch uns als Menschheit aus den NS-Verbrechen eine besondere Verantwortung erwächst?

 

Zusammenführung (5 Min)

Die Teamenden schließen die Diskussion und lassen die gemeinsamen Ergebnisse aus den Übungen noch einmal knapp Revue passieren. Dabei machen sie einerseits deutlich, dass persönliche Erfahrungen und Erlebnisse oder das individuelle Interesse an der Geschichte von Nationalsozialismus und Holocaust recht verschieden sein können. Auch kann man unterschiedlicher Meinung darüber sein, welche Bedeutung man der NS-Vergangenheit im Detail beimisst oder welche Schlussfolgerungen man selbst daraus zieht.

Andererseits stellen die Teamenden heraus, dass es gute Gründe dafür gibt, aus einer schlimmen und folgenschweren Geschichte auch eine gemeinsame Verantwortung abzuleiten. Dabei geht es nicht um persönliche Schuldzuweisungen, sondern um die (politische) Frage, wie wir als Gesellschaft insgesamt mit unserer Vergangenheit umgehen und welche Lehren wir daraus ziehen wollen. Das Erinnern an bzw. das Bewusstsein über historisch begangenes Unrecht, seine Vorbedingungen und Nachwirkungen, kann zugleich unseren Blick auf gegenwärtige Probleme schärfen (z.B. Rassismus, Antisemitismus, soziale Ungerechtigkeit etc.).

Quelle

KIgA e.V. (Hg.): Widerspruchstoleranz 2. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit. Berlin 2017. PDF

 

 

Bildnachweis: Alexandra Falken / photocase.de

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