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Rollenspiel

„Oh what a World“ – Zum Einstieg in das Verschwörungsdenken

Nach gemeinsamer Reflexion über persönliche Wahrnehmungen und (Selbst-) Verortungen in der Welt erleben die Teilnehmenden eine spielerische Annäherung an verschwörungstheoretische Argumentationen. Miteinander analysieren und diskutieren sie kommunikative und inhaltliche Schwierigkeiten und Gegenstrategien in der Konfrontation mit Verschwörungsdenken.

Allgemeine Informationen

Konzeptioneller Zugang

Der Glaube an Verschwörungstheorien kann einen psychischen, gar identitätsstiftenden Gewinn bringen: Das Gefühl, die Welt trotz ihrer Komplexität verstanden zu haben und scheinbar eindeutige Antworten auf sonst schwer erklärbare Phänomene zu besitzen, macht eine Attraktivität aus, die nicht nur, aber besonders von jungen Menschen zu reflektieren ist. Darüber hinaus erschwert die innere Struktur einzelner Verschwörungstheorien eine kritische Auseinandersetzung mit ihnen: Alle Widersprüche und gegenteiligen Fakten können als Teil der eigentlichen Verschwörung verstanden werden.

Lernziele

Die TN sind dafür sensibilisiert, dass die Welt komplex und oft schwer überschaubar ist. Sie wissen, dass Gefühle wie Ohnmacht, Verwirrung oder Unsicherheit aus den Schwierigkeiten entstehen können, sich in einer unübersichtlichen Welt zu orientieren. Die TN erhalten einen ersten Einblick in die Muster und Dynamiken verschwörungstheoretischer Argumentationen.

Material

Material-Download, Flipchartpapier, Filzmarker

Zeit

45 Min (20 Min/25 Min)

 

Schritt 1: Stumme Diskussion

Übung (10 Min)

Zwei vorbereitete Plakate werden an unterschiedlichen Stellen im Raum aufgehängt oder auf freistehenden Tischen ausgelegt. Je ein Plakat enthält eine der folgenden Fragen:

 

  • „Wie würde ich die Welt, in der wir leben, beschreiben?“
  • „Woher bekomme ich neues Wissen, um zu verstehen, wie die Welt funktioniert?“

 

Die Plakate sollten gut zugänglich sein und einen schreibfesten Untergrund haben. An beiden Stationen sind mehrere Filzmarker zum Schreiben platziert.

Die einzelnen TN besuchen jetzt – sich frei im Raum bewegend – nacheinander beide Plakat-Stationen und versuchen, die dort formulierten Fragen zu beantworten. Ihre Antworten und Kommentare schreiben sie direkt auf das jeweilige Plakat, ohne dabei zu sprechen. Sie können auch schreibend aufeinander Bezug nehmen, indem sie die verschiedenen Beiträge gegenseitig ergänzen oder kommentieren.

Beleidigungen und Beschimpfungen sind nicht erlaubt. Die TN können selbstständig entscheiden, in welcher Reihenfolge und wie oft sie die Stationen aufsuchen.

 

Hinweis: Um eine zielführende Bearbeitung der Diskussionsfragen zu gewährleisten, kann es hilfreich sein, den einführenden Arbeitsauftrag mit konkreten Beispielen zu erläutern. Während der stummen Diskussionsphase sollten die Teamenden nur dann unterstützend eingreifen, wenn bei der Beantwortung der Fragen grundsätzliche Missverständnisse zutage treten.

 

Zusammenführung (10 Min)

Alle TN kommen wieder zusammen und sehen sich die Plakate noch einmal gemeinsam an. Wer will, kann noch etwas ergänzen. Anschließend führen die Teamenden die Ergebnisse zusammen und fokussieren auf die folgenden Aspekte:

Bei dem Plakat zur „Welt-Beschreibung“ deuten die Teamenden insbesondere auf solche Charakterisierungen hin, die auf Komplexität und schwer Verständliches verweisen (z. B. „kompliziert“, „unübersichtlich“). Beiträge mit Bezug auf die negativen Folgen gesellschaftlicher und sozialer Verhältnisse sind auf ihre Ursachen zurückzuführen (z.B. „ungerecht“, „rücksichtslos“, „profit-“ oder „wettbewerbsorientiert“).

Bei dem Plakat zum „Wissenserwerb“ heben die Teamenden die Verschiedenartigkeit möglicher Informationsbeschaffung hervor. Dabei sollten sie zugleich für die Notwendigkeit einer kritischen Prüfung von Quellen sensibilisieren. Gerade das vermutlich häufig genannte Beispiel Internet eignet sich dazu, auch die Verbreitungsmöglichkeiten von Gerüchten und Mobbing in den Blick zu nehmen.

 

Im Ergebnis ist einerseits zu verdeutlichen, dass komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge eine Orientierung erschweren oder sogar Gefühle der Ohnmacht hervorrufen können. Aber: Weder kann man alles wissen, noch muss man sich von solcher Komplexität einschüchtern lassen!

Andererseits ist zu zeigen, dass uns vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um uns die Orientierung zu erleichtern und Informationen zu überprüfen. Aber: Man sollte nicht leichtfertig alles glauben, sondern die Seriosität einer Quelle hinterfragen und mit gesundem Menschenverstand prüfen!

 

Schritt 2: Rollenspiel

Übung (10 Min)

Die Teamenden erklären den Ablauf der Übung: Die TN werden im Folgenden mit einer kruden Verschwörungstheorie konfrontiert. Ihre Aufgabe wird es sein, dagegen zu argumentieren und die aufgestellten Behauptungen hartnäckig zu hinterfragen.

Danach beginnt das eigentliche Spiel. Die Teamenden schlüpfen in eine Rolle, in der sie vor der Gruppe eine beliebige, aber bewusst absurde Verschwörungstheorie vertreten. So zum Beispiel:

 

(a)  „Tische regieren die Schule!“ – Die eigentliche Herrschaft über die Schule üben die Tische aus. Wenn die Schule des Nachts leer ist, dann erwachen sie zum Leben und bewegen sich durch das Gebäude. Alle Vorgänge des Schulbetriebs werden insgeheim von ihnen kontrolliert.

(b)  „Der öffentliche Personennahverkehr ist ein geheimes Instrument der Autoindustrie!“ – Verspätungen und Ausfälle bei Bussen und Bahnen sind absichtlich geschaffen, um der Kundschaft den Alltag zu erschweren. Die künstlich geschaffene Mühsal soll die Menschen zum Kauf und zur Nutzung von Autos animieren.

 

Ihre Theorie tragen die Teamenden mit Inbrunst und voller gespielter Überzeugung vor. Sie untermalen sie mit kreativen Argumenten und irren „Beweisführungen“.

Die Gruppe der TN hingegen versucht, gegen die Verschwörungstheorie zu argumentieren. In einem lebhaften Schlagabtausch versuchen beide Lager, sich gegenseitig zu überzeugen. (Bei zwei Teamenden kann eine/-r von beiden die Gruppe der TN unterstützen und diese zur aktiven Teilnahme animieren.) Nach einigen Minuten wird das Spiel abgebrochen und im Anschluss gemeinsam analysiert.

 

Hinweis: In dieser Übung geht es darum, den TN eine manipulative Kommunikationsdynamik und eine Unzugänglichkeit für rationale Gegenargumente vor Augen zu führen. Die Teamenden sollten deshalb ihre absurde Verschwörungstheorie und die zugehörige Argumentation gut vorbereiten, fantasievoll ausgestalten und vor allem als Groteske kenntlich machen. Haben Sie Mut zu bizarren Gedanken-Experimenten! Verwenden Sie für Ihre Argumentation Stilmittel wie die folgenden:

  • Spielen Sie sich als wissend und erleuchtet auf. Zeigen Sie sich bemüht, die „Verblendeten“ zu überzeugen.
  • Äußern sie beliebige Verdächtigungen und streuen Sie Gerüchte, die sie dann als Wahrheit hinstellen („Man sagt/weiß doch, dass …“).
  • Ziehen Sie, was immer Ihnen einfällt, als vermeintlichen Beweis für ihre Theorie heran. Wiederholen Sie Ihre Argumente vielfach und bleiben Sie stur.
  • Begegnen Sie kritischen Nachfragen mit Gegenfragen. Drehen Sie Gegenargumente einfach um, bis diese Ihre Theorie scheinbar stützen.
  • Beziehen Sie sich auf zweifelhafte Autoritäten und dubiose Quellen (z.B. angebliche „Geheimstatistiken der Geheimdienste“).
  • Untermauern Sie Ihre Argumente mit seltsamen Behauptungen und kreieren Sie sonderbare Zusammenhänge (z.B. „auf künstliche Intelligenz zurückzuführen“ oder „senden rätselhafte elektromagnetische Strahlungen“).
  • Verweisen Sie auf „dunkle Mächte“ und benutzen Sie Schlagworte wie „einflussreich“, „machtvoll“, „manipuliert“, „gelenkt“, „im Geheimen“, „Verschwörung“, „Strippenzieher“ etc. Keine noch so krude Behauptung ist zu abwegig, keine noch so gewagte Spekulation zu verquer! Jedoch: Bei aller nötigen Begeisterung für Ihre Rolle – lassen Sie den TN ausreichend Raum für Gegenrede und skeptische Fragen, damit diese sich ausprobieren können.

 

Zusammenführung (15 Min)

Teamende und TN finden sich in beruhigter Gesprächssituation zusammen. Für den Ausstieg aus dem Rollenspiel tauschen die TN in einer kurzen Runde zunächst erste Eindrücke aus, wie das Geschehene auf sie emotional gewirkt hat.

Danach erfolgt eine systematische Auswertung der Übung anhand nachstehender Fragen. Gemeinsam untersuchen die TN nacheinander die zu beobachtende Gesprächsdynamik, Argumentationstechniken und Gegenargumentationen.

 

Fragen

  • Was ist hier gerade passiert? Was konntet ihr beobachten?
  • Mit welchen (Gesprächs-)Techniken hat der/die Teamende versucht, euch von der Verschwörungstheorie zu überzeugen?
  • Welche eurer Argumente oder Mittel haben gut funktioniert, um gegen die Verschwörungstheorie vorzugehen? Wo gab es Erfolge, wo andere Alternativen?

 

Die Teamenden unterstützen die TN gegebenenfalls dabei, typische Strukturmerkmale zu identifizieren (z.B. stures Beharren, häufiges Wiederholen, Behauptungen als Tatsachen darstellen, Unzugänglichkeit für Argumente; Umdeutung von Gegenargumenten).

Bei Bedarf nachhelfen können die Teamenden ebenso bei der Analyse und Sammlung möglicher Gegenstrategien (z.B. skeptisches Nachfragen, Quellen und Beweise fordern, alternative Deutungen erwägen, Ironie).

Die Antworten der TN auf die dritte Frage sammeln die Teamenden an der Tafel oder am Flipchart. Dorthin hängen sie abschließend auch ein schriftliches Fazit (siehe Material):

 

  • „ Diskussion schwierig – Wer Verschwörungstheorien vertritt, ist oft hartnäckig und nicht offen für Gegenargumente.“
  • „Was nicht passt, wird passend gemacht – Angebliche Beweise werden nach Belieben benutzt, Gegenargumente sogar umgedeutet.“
  • „Trotzdem dagegenhalten – Gegen Verschwörungstheorien hilft logisches Denken und ein kritischer Umgang mit Argumenten und Quellen.“

Quelle

KIgA e.V. (Hg.): Widerspruchstoleranz 2. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit. Berlin 2017. PDF

 

 

Bildnachweis: Stephen Mayes / unsplash.com

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