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Eine kurze Einführung in ein komplexes Phänomen

Was ist Antisemitismus?

Antisemitismus ist Judenfeindschaft. Diese trat im Verlauf der Jahrhunderte in unterschiedlichen Formen auf – etwa christlich, rassistisch, ökonomisch begründet oder als sekundärer Antisemitismus. Doch auch wenn sich ihre Begründungen und Motive entsprechend den jeweiligen historischen Kontexten verändert haben, lassen sich wiederkehrende Kernelemente erkennen. VON ANNE GOLDENBOGEN & MALTE HOLLER

Antisemitismus wendet sich gegen ‚die Juden‘, wobei Jüdinnen und Juden nicht als Individuen, sondern als Kollektiv betrachtet werden. Er zielt ab auf Ausgrenzung, Unterdrückung oder – in seiner extremsten Form – auf Vernichtung. Diese Merkmale allerdings unterscheiden ihn nicht von anderen Formen diskriminierenden Denkens und Handelns. Daher lässt sich zwischen einer „generalisierbaren Dimension“ und einer „spezifischen Dimension“ des Antisemitismus unterscheiden1: Generalisierbar ist, dass er, analog zu anderen Diskriminierungsformen, als Ressentiment gegenüber Minderheiten zu umreißen ist.

Spezifisch hingegen ist das zentrale Moment des modernen Antisemitismus, wie er sich im Zuge der der Entwicklung des Kapitalismus in Europa gegen Ende des 19. Jahrhunderts herausbildete: Das Moment des Unverständnisses der modernen Gesellschaft. Es findet seinen Ausdruck in einer verkürzenden und personalisierenden Vorstellung von komplexen gesellschaftlichen Verhältnissen. Antisemitismus in seiner spezifischen Dimension ist also „eine antimoderne Weltanschauung, die in der Existenz der Juden die Ursache sozialer, politischer, religiöser und kultureller Probleme sieht“.2

Die antisemitische Konstruktion

Antisemitismus beruht nicht auf real existierenden Eigenschaften, Ereignissen oder Tatsachen. Auch ist er nicht ausschließlich als Haltung oder Handlung gegenüber gegenüber Jüdinnen und Juden zu verstehen. Vielmehr definiert der Antisemitismus selbst, was ,jüdisch‘ ist. Antisemitismus richtet sich also gegen eine Konstruktion ‚vom Juden‘ bzw. ,des Jüdischen‘, die sich aus Zuschreibungen, Stereotypen und Vorurteilen generiert, zum Beispiel:

 

  • dem Vorwurf, Juden seien ehrlos, listig und betrügerisch
  • der Vorstellung, Juden seien fremd und andersartig
  • der Unterstellung, Juden seien rachsüchtig
  • der Idee von der Geschäftstüchtigkeit ‚des Juden‘
  • der Beschuldigung der Juden als Christusmörder
  • der Behauptung einer jüdischen Weltverschwörung bzw. von der Macht ‚des Juden‘.

 

„Antisemitismus stellt eine Struktur feindlicher Vorstellungen gegenüber Juden als Kollektiv dar, welche sich in Einstellungen, Mythen, Ideologie, Folklore, Bildern und Handlungen – soziale oder rechtliche Diskriminierungen, politische Mobilisierungen gegen Juden, und kollektive und staatliche Gewalt – manifestiert, die dazu führen und darauf abzielen, Juden zu distanzieren, zu vertreiben oder zu töten. Er stellt zudem eine moderne und politisch-kulturell situierte Form der Stereotypenbildung dar und ein ‚Ensemble von Vorurteilen, Klischees, fixierten kollektiven Bildern, binären Codes und kategorialen Attribuierungen sowie diskriminierenden Praktiken gegenüber Juden, die sich zur politischen Ideologie und zum Weltbild verdichten können‘.“ 3

Erscheinungsformen

Antisemitismus tritt heute in verschiedenen Erscheinungsformen auf, die in der Theorie idealtypisch unterschieden werden können, sich in der Praxis jedoch vermischen bzw. verschränken. Dazu gehören zu Beispiel der sekundäre Antisemitismus, der israelbezogene Antisemitismus, eine verkürzte Ökonomiekritik, aber auch antisemitische Verschwörungsideologien, die Zuschreibung von Macht und Einfluss oder die Gleichsetzung von Juden mit Geld.

Zum Begriff

Der Begriff Antisemitismus wurde 1879 in Berlin erstmals in die Öffentlichkeit gebracht und diente von Beginn an als politische Selbstbezeichnung von Judenfeinden. „In dieser Wortneuschöpfung drückt sich eine veränderte Auffassung von den Juden aus, die nun nicht mehr primär über ihre Religion definiert werden, sondern als Volk, Nation oder Rasse.“4

 

Anne Goldenbogen ist Mitbegründerin und war bis 2019 Redakteurin von „Anders Denken – Die Onlineplattform für Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit“

Malte Holler ist Mitbegründer und war bis 2019 Redakteur von „Anders Denken – Die Onlineplattform für Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit“

Anmerkungen

1 Lars Rensmann/Julius H. Schoeps: Antisemitismus in der Europäischen Union: Einführung in ein neues Forschungsfeld. In: Diess. (Hg.): Feindbild Judentum. Antisemitismus in Europa. Berlin 2008, S. 12.

2 Werner Bergmann: Was heißt Antisemitismus? In: Dossier Antisemitismus. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) 2006. Online

3 Lars Rensmann/Julius H. Schoeps (wie Anm. 1), S. 13.

4 Werner Bergmann (wie Anm. 2).

 

Zum Weiterlesen

Arbeitsdefinition von Antisemitismus“, International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Online

Wolfgang Benz: Was ist Antisemitismus? München 2004.

Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 1-8. Berlin 2009-2015.

Klaus Holz: Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft. Hamburg 2005.

Christoph Nonn: Antisemitismus. Darmstadt 2008.

Monika Schwarz-Friesel: Aktueller Antisemitismus. Konzeptuelle und verbale Charakteristika. In: Dossier Antisemitismus. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) 2015. Online

Monika Schwarz-Friesel/Evyatar Friesel/Jehuda Reinharz (Hg.): Aktueller Antisemitismus – Ein Phänomen der Mitte. Berlin 2010.

 

 

Bildnachweis: Yeshi Kangrang / unsplash.com

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