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Kritik an Israel als antisemitische Umwegkommunikation

Israelbezogener Antisemitismus

Israelbezogener Antisemitismus ist eine aktuelle Form des Antisemitismus, die in Deutschland hohe Zustimmungswerte erzielt. Kritik an der israelischen Politik wird dabei mit antisemitischen Stereotypen und Bildern verknüpft. Mit Bezug auf den Nahostkonflikt trägt dies zur Aufrechterhaltung und Verbreitung antisemitischer Ressentiments bei. VON MALTE HOLLER

Antisemitischer Antizionismus oder israelbezogener Antisemitismus sind verschiedene Bezeichnungen für eine aktuelle Variante der Judenfeindschaft, die im Vergleich zu anderen Formen des Antisemitismus heute in Deutschland ausgesprochen hohe Zustimmungswerte erzielt und auch den öffentlichen Diskurs zum Thema prägt. Trotz mancher kontroversen Beurteilungen im Detail ist sich die Forschung einig, dass es sich hierbei häufig um eine Art Umwegkommunikation handelt: Weil offener Antisemitismus in Deutschland heute weitgehend tabuisiert oder zumindest verpönt ist, werden antisemitische Ressentiments hinter vermeintlich harmloser Kritik am Staate Israel und seiner Politik versteckt. Antisemitische Klischees und Deutungsmuster, die an tradierte Bilder der Judenfeindschaft anknüpfen, werden dabei oft hinter Chiffren und Codes verborgen.

Nicht jede Kritik an der israelischen Regierung oder an ihren politischen Maßnahmen ist antisemitisch. Sie ist es dann, wenn sie stereotype Anschuldigen, Symbole und Bilder aus dem Repertoire des traditionellen Antisemitismus verwendet, oder wenn sie die Politik Israels mit dem Nationalsozialismus gleichsetzt, um so eine Täter-Opfer-Umkehr zu vollziehen. Darüber hinaus ist Kritik an Israel dann antisemitisch, wenn sie alle Jüdinnen und Juden weltweit für die israelische Politik verantwortlich macht, die israelische Politik an Maßstäben misst, die an kein anderes demokratisches Land gesetzt werden, oder dem Staat Israel aufgrund seiner jüdischen Selbstdefinition das Existenz- oder Selbstverteidigungsrecht abspricht.

Werden antisemitische Kategorien, Kennzeichnungen und Interpretationen dazu genutzt, den Staat Israel insgesamt zu verunglimpfen, etwa indem man ihn als ein ‚kolonial-rassistisches Projekt‘ oder ‚künstliches Gebilde‘ beschreibt, das andere scheinbar ‚naturwüchsige‘ Staatengemeinschaften zu ‚zersetzen‘ drohe, dann wird Israel selbst zum „Jude unter den Staaten“ (Léon Poliakov) gemacht.

Der Nahostkonflikt als Projektionsfläche

Es wichtig darauf hinzuweisen, dass der Nahostkonflikt selbst nicht die Ursache antisemitischer Denkweisen und Handlungen ist. Jedoch kommt ihm bei der (Weiter-) Verbreitung, Anpassung und Aktualisierung antisemitischer Ressentiments durchaus eine wichtige Rolle zu. Die Unterscheidung zwischen eindeutig antisemitischen und nicht antisemitischen Haltungen wird mitunter dadurch erschwert, dass sich politische Argumente und sachlich begründbare Urteile häufig mehr oder weniger subtil mit antisemitischen Feindbildern vermischen. Auch liegen individuellen Bezugnahmen auf den Nahostkonflikt manchmal vielschichtige Fragen nach persönlichen Betroffenheiten, nationalen, ethnischen und kulturellen Selbstverortungen oder Zuschreibungen, diffusen Solidarisierungseffekten oder Auseinandersetzungen um Diskriminierung und Anerkennung (Stichwort ‚Erinnerungskonkurrenz‘) zugrunde. Nicht ausgewogene und damit durchaus problematische Sichtweisen auf den Konflikt müssen nicht in jedem Fall auch antisemitisch sein.

Dessen ungeachtet entfaltet sich am Nahostkonflikt eine unheilvolle Dynamik: Durch seine kontinuierliche Bebilderung mit tradierten antisemitischen Motiven und Stereotypen erfährt der Konflikt eine permanente Verschärfung. Genau diese wiederum trägt zur beständigen Reproduktion vorurteilsbehafteter Gruppenkonstruktionen bei und schreibt die (ideologischen) Verzerrungen beim Wahrnehmen und Besprechen des Konflikts fort.

 

Malte Holler ist Mitbegründer und war bis 2019 Redakteur von „Anders Denken – Die Onlineplattform für Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit“

Zum Weiterlesen

Aribert Heyder/Julia Iser/Peter Schmidt: Israelkritik oder Antisemitismus? Meinungsbildung zwischen Öffentlichkeit, Medien und Tabus. In: Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Deutsche Zustände. Folge 3. Frankfurt am Main 2004, S. 144-165.

Klaus Holz: Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft. Hamburg 2005.

Armin Pfahl-Traughber: Antizionistischer Antisemitismus, antiimperialistische Israelfeindlichkeit und menschenrechtliche Israelkritik. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 24 (2015), S. 293- 318.

Armin Pfahl-Traughber: Antizionistischer Antisemitismus. Über die Besonderheiten im Spannungsfeld von antisemitischer und nicht-antisemitischer Israel-Kritik. In: Dossier Antisemitismus. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) 2006. Online

Doron Rabinovici/Ulrich Speck/Natan Sznaider (Hg.): Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte. Frankfurt am Main 2004.

Lars Rensmann: Antisemitismus und Israelfeindschaft. In: Olaf Glöckner/Julius H. Schoeps (Hg.): Deutschland, die Juden und der Staat Israel. Eine politische Bestandsaufnahme. Hildesheim 2016, S. 265-284.

Monika Schwarz-Friesel: Aktueller Antisemitismus. Konzeptuelle und verbale Charakteristika. In: Dossier Antisemitismus. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) 2015. Online

Monika Schwarz-Friesel/Jehuda Reinharz: Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin 2013.

 

 

Bildnachweis: FemmeCurieuse / photocase.de

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